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path: root/testautomation/writer/optional/input/import/swdos.txt
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Diffstat (limited to 'testautomation/writer/optional/input/import/swdos.txt')
-rwxr-xr-xtestautomation/writer/optional/input/import/swdos.txt3314
1 files changed, 3314 insertions, 0 deletions
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new file mode 100755
index 000000000000..b23df9eba2f9
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+++ b/testautomation/writer/optional/input/import/swdos.txt
@@ -0,0 +1,3314 @@
+.\\\ WRITER 6 \\\
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+S t e f a n B r e u e r
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+G e s e l l s c h a f t d e s V e r s c h w i n d e n s
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+ PA
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+Inhalt
+
+S
+S
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+S
+SVorwort
+S
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+S
+SDie Entwicklungskurve der Zivilisation.
+SEine Auseinandersetzung mit Norbert Elias
+S
+S
+S
+SProduktive Disziplin. Foucaults Theorie der
+Disziplinargesellschaft
+S
+S
+S
+SAdorno, Luhmann: Die moderne Gesellschaft zwischen
+Selbstreferenz und Selbstdestruktion
+S
+S
+S
+S'Nicht der Anfang, das Ende trgt die Last'.
+SFriedrich Georg Jnger und die Perfektion der Technik
+S
+S
+S
+SDer Nihilismus der Geschwindigkeit.
+SZum Werk Paul Virilios
+S
+S
+S
+STechnik und Wissenschaft als Hierophanie
+S
+S
+S
+SGtterdmmerung
+S
+ SPA
+SVorwort
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+S
+S
+S... Wir ordnens. Es zerfllt.
+S Wir ordnens wieder und zerfallen selbst.
+S Rilke, Duineser Elegien
+S
+SDie Gegenwart, so versichert man uns seit einiger Zeit, stehe im
+Zeichen eines groen Verschwindens. Die Metaerzhlungen, welche
+die Spielregeln des modernen Wissens legitimierten, lsten sich
+auf oder verlren an Glaubwrdigkeit; die Diskurse ber die
+Dialektik des Geistes, die Hermeneutik des Sinns oder die
+Emanzipation der Gattung enthllten sich als Fabeln, denen keine
+Funktion mehr zukomme (Lyotard 1986, 13f.). Die Fundamente der
+neuzeitlichen Metaphysik wrden brchig, das Ende des
+Humanismus, der Subjektivitt, ja der Moderne schlechthin
+kndige sich an (Vattimo 1990, 52f.). Das Wissen selbst sprenge
+im Zuge seiner Entfaltung die vereinheitlichenden,
+universalisierenden, totalisierenden Ambitionen, mit denen es
+seit Descartes belastet sei. Relativittstheorie und
+Quantenphysik bewirkten eine Grundsatzrevision, eine "Mutation
+im Kern der Neuzeit", an der der Absolutheitsanspruch der alten
+Mathesis universalis zerbreche. Auflsung des Ganzen, Ende der
+Einheit, Obsoletheit der Totalitt: "Absolutheit ist nur noch
+eine Idee, ein archimedischer Punkt ist undenkbar, das Operieren
+ohne letztes Fundament wird zur Grundsituation" (Welsch 1988,
+187).
+S
+SDem Verschwinden der Totalitt, heit es weiter, korrespondiert
+das Erscheinen der Pluralitt, dem 'Koma der Moderne' (Matthieu)
+die Geburt der Postmoderne. Wo der szientifische Diskurs der
+Moderne nur den Kult einer monotheistischen Vernunft kannte,
+begreift sich der Postmodernismus als Anwalt des Polytheismus,
+als "Wahrer einer vielfltigen Wirklichkeit gegen ihre
+technologische Eintrbung" (ebd. 221 f.); wo einst die
+Monokultur eines technologischen Zeitalters sich ausbreitete,
+blht heute eine bunte Vielfalt von Horizonten, Lebenswelten,
+Wissensformen. Die Postmoderne 'verwindet' die Metaphysik
+(Vattimo 1990, 53); sie beharrt gegenber der homogenisierenden
+Gewalt des konomischen Diskurses auf der "Heterogenitt der
+Satz-Regelsysteme und Diskursarten" (Lyotard 1987, 263) und
+zeigt sich aggressiv gegen jede Totalisierung. "Krieg dem
+Ganzen, zeugen wir fr das Nicht-Darstellbare, aktivieren wir
+die Widerstreite, retten wir die Ehre des Namens" (Lyotard 1988,
+203). Auch wenn in diesem Krieg noch einige Schlachten verloren
+gehen sollten, glaubt die Postmoderne die strkeren Bataillone
+auf ihrer Seite zu haben. Sie will gegenber Technik und
+konomie das umfassendere Deutungsmuster sein und nicht nur die
+Entwicklungslogik des Wissens, sondern auch die der Gesellschaft
+fr sich haben (Welsch 1988, 218, 4). Das Verschwinden des
+Ganzen sei nicht mehr aufzuhalten, die Freisetzung der Teile
+unvermeidlich. "Die Postmoderne beginnt dort, wo das Ganze
+aufhrt" (ebd. 39).
+ S
+SNun gibt es wenig Grnde, die Moderne vor der Kritik zu
+schtzen. Die meisten der gegen sie vorgetragenen Gravamina
+bestehen zu Recht. Es gibt aber auch keinen Grund, sich einem
+Feldzug anzuschlieen, der auf einer so fragwrdigen
+Lagebeurteilung wie der soeben skizzierten beruht. Zunchst
+einmal ist vllig ungeklrt, um welche Art von Pluralitt es
+sich handelt, die den Holismus der Moderne ersetzen soll: um
+eine Pluralitt, die aus der Gleichzeitigkeit des
+Ungleichzeitigen resultiert, also lediglich ein Ensemble noch
+nicht vermittelter Vielheit ist; um die Differenzierungsprodukte
+einer Einheit, die noch im Auersichsein bei sich selbst ist -
+Pluralitt la Hegel; oder um eine materiale, irreduzible
+Pluralitt, an der jeder Homogenisierungsversuch scheitert. Nur
+diese letztere liee sich aussichtsreich mobilisieren, aber auch
+nur dann, wenn sie strategische Relevanz besitzt und nicht blo
+marginaler Natur ist. Lyotards Eingestndnis, das einzige
+unberwindliche Hindernis fr die hegemonialen Tendenzen des
+konomischen Diskurses liege in der Heterogenitt der Satz-
+Regelsysteme, deutet jedoch genau in diese Richtung. Wer der
+zerstrerischen Gewalt der Moderne nur Stze entgegenzusetzen
+hat, hat ihr schon nichts mehr entgegenzusetzen.
+S
+SSchlielich sind auch die Bundesgenossen, auf die sich der
+Postmodernismus glaubt sttzen zu knnen, alles andere als
+vertrauenerweckend. Es mag ja sein, da mit den Innovationen von
+Einstein, Heisenberg und Gdel der Totalittsanspruch der alten
+Mathesis universalis unhaltbar geworden ist. Aber erstens ist
+das mechanische Weltbild durch die neuere Physik nicht einfach
+widerlegt, sondern lediglich auf den mesokosmischen Bereich
+eingeschrnkt worden. Und zweitens kann man den Vorsto von
+Wissenschaft und Technik in den mikro- und makrokosmischen
+Bereich kaum als Beleg fr eine "Einschrnkung des
+Monopolanspruchs der Wissenschaft" oder als Anzeichen fr eine
+Beendigung der "Hegemonie szientifischer Orientierung" nehmen
+(Welsch 1988, 188, 222). Die Flexibilisierung der Wissenschaft
+und die Erweiterung ihres Methodenarsenals begrnden ihre
+Expansion, nicht ihre Selbstlimitation.
+S
+SWie die Postmodernisten ihre eigenen Strke berschtzen, so
+unterschtzen sie die des Gegners. Die Rede von den groen
+Erzhlungen suggeriert, da Totalitt nichts weiter sei als eine
+"Anmaung" (Lyotard 1988a, 213), eine falsche Darstellung der
+Welt, die sich jederzeit durch eine adquatere korrigieren
+liee; der Diskurs der Moderne erscheint so als das Ergebnis
+einer immer schon "illegitimen Erhebung eines in Wirklichkeit
+Partikularen zum vermeintlich Absoluten" (Welsch 1988, 5), als
+bergriff, dem kritizistisch mit dem Hinweis auf die begrenzten
+Kompetenzen des Denkens zu begegnen ist. So ungefhr
+argumentierten vor Jahrzehnten schon Popper und Albert, die sich
+weit mehr dafr interessierten, den Dialektikern totalitre
+Ambitionen nachzuweisen, als den totalisierenden Tendenzen in
+der Wirklichkeit nachzugehen. Totalitt ist aber keine Erfindung
+herrschschtiger Intellektueller, sondern eine Realitt, die
+sich nicht einfach wegdekretieren lt. Sie manifestiert sich in
+der Tendenz des Kapitals, "alle Elemente der Gesellschaft sich
+unterzuordnen oder die ihm noch fehlenden Organe aus ihr heraus
+zu schaffen" (Marx 1974, 189); sie zeigt sich in der
+ Universalisierung und Globalisierung der dem Kapitalverhltnis
+eigenen Produktions- und Zirkulationsformen; und nicht zuletzt
+in der massiven Expansion der experimentellen Wissenschaften,
+die immer tiefer in die Infrastrukturen der Materie
+intervenieren und lngst keine Grenzen mehr kennen. Nicht da
+dem Postmodernismus dies vllig entginge. Aber die forcierte,
+wie immer auch inzwischen zurckgenommene oder relativierte
+Behauptung einer Postmoderne, eines Zustands also jenseits der
+fr die Moderne typischen Totalisierung, deutet auf eine
+Verharmlosung, die nicht anders als leichtfertig bezeichnet
+werden kann. Wer fr ein 'Denken des Genusses' eintritt (Vattimo
+1990, 192), mag dies tun, er drckt damit ohnehin nur die
+herrschende Orientierung aus. Er sollte aber nicht die Illusion
+verbreiten, es handle sich um mehr als den Genu von
+Henkersmahlzeiten. Das Ende der Moderne wird nicht der Aufgang
+der Postmoderne sein, sondern das Ende der Welt, genauer: der
+bewohnbaren Welt.
+S
+SSo jedenfalls legt es die dialektische Denkbewegung nahe, die
+das Verhltnis von Erscheinen und Verschwinden ganz anders fat
+als der Postmodernismus. Whrend der letztere das Signum der
+Epoche im Verschwinden der Einheit und im Erscheinen
+vermittlungsloser Vielfalt sieht, insistiert das dialektische
+Denken seit Hegel darauf, da die unvermittelte Vielfalt
+verschwindet und von einer absoluten, in sich differenzierten
+Einheit abgelst wird. Die Hegelsche Logik analysiert die
+Bewegung vom scheinenden zum erscheinenden Wesen, in deren
+Verlauf die dem Wesen eigenen Bestimmungen als reale und
+selbstndige Vermittlungen in die Existenz treten; die
+Geschichtsphilosophie bersetzt diesen Gedanken in einen
+historischen Proze, dessen markanteste Stationen das Erscheinen
+des Gttlichen in Christo und die Realisierung der Vernunft im
+modernen Staate sind. Marx uerte hieran berechtigte Zweifel
+und verschob die wahre Vershnung auf den Sozialismus. Am
+Grundgedanken hielt er nichtsdestoweniger fest. Auch fr ihn ist
+die Heterogenitt der modernen Gesellschaft - die 'Konkurrenz' -
+nichts Neues oder Eigenstndiges gegenber dem Wesen, sondern
+dessen Erscheinungsform. Denn das Wesen der modernen
+Gesellschaft - das Wertgesetz - besteht gerade darin, als
+Negation seiner selbst zu erscheinen, so da der Erscheinung der
+Schein von Selbstndigkeit zukommt. "Innerhalb des
+Wertverhltnisses und des darin einbegriffenen Wertausdrucks
+gilt das abstrakt Allgemeine nicht als Eigenschaft des
+Konkreten, Sinnlich-Wirklichen, sondern umgekehrt das Sinnlich-
+Konkrete als bloe Erscheinungs- oder bestimmte
+Verwirklichungsform des Abstrakt-Allgemeinen (...). Diese
+Verkehrung, wodurch das Sinnlich-Konkrete nur als
+Erscheinungsform des Abstrakt-Allgemeinen, nicht das Abstrakt-
+Allgemeine umgekehrt als Eigenschaft des Konkreten gilt,
+charakterisiert den Wertausdruck" (Marx 1867, 771).
+S
+SDiese Konzeption ist festzuhalten, weil sich nur mit ihrer Hilfe
+Einsicht in die komplizierte Architektur der modernen
+Gesellschaft gewinnen lt. Sie ist aber zugleich zu
+modifizieren, weil Marx, darin ganz Kind des 19. Jhs., die
+selbstzerstrischen Zge der Wertvergesellschaftung
+unterschtzte. Gewi, Marx sah genau, da die kapitalistische
+Produktionsweise die "Springquellen allen Reichtums untergrbt:
+ die Erde und den Arbeiter" (MEW 23, 530). Er erkannte ferner mit
+einer Klarheit wie niemand vor ihm, welches selbstnegatorische
+Potential mit dem wachsenden Widerspruch zwischen notwendiger
+und berflssiger Arbeitszeit entsteht (Marx 1974, 592ff.).
+Indes war er felsenfest davon berzeugt, da, wenn schon nicht
+das Kapital, so doch die Menschheit imstande sein wrde, sich
+wie Mnchhausen am eigenen Schopf aus dem Sumpf zu ziehen. Der
+Speer, der die Wunde schlug - die Wissenschaft - galt ihm als
+poena et remedium peccati. Wenn die verwissenschaftlichte
+Produktion unter kapitalistischen Bedingungen den Stoffwechsel
+zwischen Mensch und Erde strte, so zwang sie doch zugleich
+"durch die Zerstrung der blo naturwchsig entstandnen Umstnde
+jenes Stoffwechsels, ihn systematisch als regelndes Gesetz der
+gesellschaftlichen Produktion und in einer der vollen
+menschlichen Entwicklung adquaten Form herzustellen" (MEW 23,
+528). Wenn sie die Arbeitsmittel in "Unterjochungsmittel,
+Exploitationsmittel und Verarmungsmittel des Arbeiters"
+verwandelte und die "gesellschaftliche Kombination der
+Arbeitsprozesse als organisierte Unterdrckung seiner
+individuellen Lebendigkeit, Freiheit und Selbstndigkeit"
+betrieb (ebd. 528f.), so folgte sie damit nur einer geheimen
+Logik, die das, was sie den Individuen nahm, der Gattung in
+tausendfach vergrerter Form zurckerstattete. Fr Marx war die
+kapitalistische Modernisierung, wie fr die meisten brgerlichen
+Denker, ein antientropischer Proze, der, von partiellen
+Rckfllen abgesehen, mit Naturnotwendigkeit zu hheren
+Ordnungen fhrte - und zwar deshalb, weil sich hinter dem Wesen
+'Kapital' noch ein weit umfassenderes Wesen befand: die
+Menschheit. Was immer die Althusser-Schule an Gegenargumenten
+gebracht hat: Marx hat, soweit er Revolutionstheoretiker sein
+wollte, den anthropologischen Diskurs niemals verlassen.
+S
+SDer anthropologische Diskurs aber macht blind. Er zwingt dazu,
+die Bewegung des Scheins als eine Scheinbewegung anzusehen und
+die mit ihr verbundenen Zerstrungen in Fortschritte umzudeuten.
+Erst wenn Klarheit darber besteht, da das Kapitalverhltnis
+nicht das Werkzeug oder der Wegbereiter eines sich in der
+Geschichte entfaltenden Absolutums - der menschlichen Gattung -
+ist, sondern selbst das Absolute, erst dann werden die Folgen
+seiner Expansion als das erkennbar, was sie sind: Momente einer
+beispiellosen Verheerung und Verwstung, die zeitlich und
+rumlich begrenzte Ordnungsgewinne mit einer Steigerung der
+Unordnung in der Umgebung erkauft. Erst dann kann aber auch
+deutlich werden, da dieses Absolute - die von allen
+Umweltbezgen abgelste 'reine Gesellschaft' - nur auf Zeit
+existiert, da es im gleichen Mae, in dem es sich ausdehnt, die
+Bedingungen seiner Existenz zerstrt. Wir sind schon zu tief in
+diesen Proze verstrickt, um an seiner Grundrichtung noch etwas
+ndern zu knnen. Das Bewutsein darber, da die Gesellschaft
+des Erscheinens in Wahrheit eine Gesellschaft des Verschwindens
+ist, knnte aber vielleicht dazu beitragen, das Tempo des
+Erscheinens (und damit auch: des Verschwindens) zu verlangsamen.
+Die Transformation der Anthropologie in Entropologie, wie sie
+Claude Lvi-Strauss schon vor langer Zeit gefordert hat, wre
+dazu ein erster Schritt:
+S
+S"Die Welt hat ohne den Menschen begonnen und wird ohne ihn enden. Die Institutionen, die Sitten und Gebruche, die
+ich mein Leben lang gesammelt und zu verstehen versucht habe, sind die vergnglichen Blten einer Schpfung, im
+ Verhltnis zu der sie keinen Sinn besitzen; sie erlauben bestenfalls der Menschheit, ihre Rolle im Rahmen dieser
+Schpfung zu spielen. Abgesehen davon, da diese Rolle dem Menschen keinen unabhngigen Platz verschafft und
+da sein berdies zum Scheitern verurteiltes Bemhen darin besteht, sich vergeblich gegen den universalen Verfall zu
+wehren, erscheint der Mensch selbst als Maschine - vollkommener vielleicht als die brigen -, die an der Auflsung einer
+ursprnglichen Ordnung arbeitet und damit die organisierte Materie in einen Zustand der Trgheit versetzt, der eines
+Tages endgltig sein wird. Seitdem der Mensch zu atmen und sich zu erhalten begonnen hat, seit der Entdeckung des
+Feuers bis zur Erfindung der atomaren Vorrichtungen, hat er - auer wenn er sich fortgepflanzt hat - nichts anderes getan
+als Millionen von Strukturen zerstrt, die niemals mehr integriert werden knnen ... Statt Anthropologie sollte es
+Entropologie heien, der Name einer Disziplin, die sich damit beschftigt, den Proze der Desintegration in seinen
+hchsten Erscheinungsformen zu untersuchen" (Lvi-Strauss 1970, 366f.).
+S
+SDie in diesem Band gesammelten Studien suchen die Mglickeit
+einer solchen dialektischen Entropologie auszuloten. Dies
+geschieht in einem eher indirekten Verfahren, das den neuerdings
+so gern erhobenen apokalyptischen Tonfall so weit wie mglich zu
+temperieren bemht ist - nicht aus einer Skepsis gegen den
+apokalyptischen Gedanken als solchen (fr den die Kritiker in
+diesem Buch gengend Belege finden werden), sondern aus
+Abneigung gegen die wohlfeile Instrumentalisierung, die er in
+der Regel erfhrt. Ist von der Apokalypse die Rede, so selten
+ohne den Verweis auf die Rettung, auf den neuen positiven
+Zustand, der durch allerlei Patentrezepte herbeigefhrt werden
+soll: durch weniger Konsum und mehr Spiritualitt, weniger
+Wachstum und mehr Kommunikation mit dem Bruder Regenwurm: vom
+Erhabenen zum Lcherlichen, man wei es, ist nur ein Schritt.
+Die Kritische Theorie hatte gute Grnde, als sie sich weigerte,
+positiv zu werden und statt dessen darauf bestand, das Gemeinte
+nur indirekt, auf dem Wege der Kritik, zur Sprache zu bringen.
+S
+SDie Kritik ist doppelgleisig angelegt. Auf der einen Seite
+verteidigt sie die Idee einer Gesellschaft des Verschwindens
+gegenber Konzeptionen, die den Proze der Modernisierung
+einseitig als Zivilisierung (Elias), als Disziplinierung
+(Foucault) oder als funktionale Differenzierung (Luhmann)
+darstellen. Auf der anderen Seite greift sie verwandte
+Intentionen auf und versucht sie weiterzuentwickeln: Adornos
+Logik des Zerfalls oder Virilios These vom Nihilismus der
+Geschwindigkeit. Hierzu gehrt auch die Erinnerung an einen zu
+Unrecht vergessenen Autor, der als einer der ersten Technik und
+Entropie in Zusammenhang gebracht hat und deshalb als der
+'eigentliche Vater der kologischen Bewegung' (Mohler)
+bezeichnet worden ist - Friedrich Georg Jnger. Das Zentrum, um
+das die verschiedenen Studien kreisen, erschliet sich am
+leichtesten ber den Essay 'Technik und Wissenschaft als
+Hierophanie'.
+S
+ SPA
+SDie Entwicklungskurve der Zivilisation.
+SEine Auseinandersetzung mit Norbert Elias
+S
+S
+S
+S
+S
+S
+SDa der historische Proze nicht blo aus isolierten Ereignissen
+und Bruchstcken besteht, sondern einen bergreifenden Sinn zur
+Erscheinung bringt, gehrt zu den ides directrices des
+abendlndischen Denkens. Wurde dieser Sinn unter der
+Vorherrschaft christlicher berzeugungen lange Zeit als
+Heilsgeschehen bestimmt, so rckte mit der Aufklrung der
+Begriff der 'Zivilisation' in den Vordergrund. Mit ihm wurden
+zwei verschiedene Vorstellungen zusammengebracht: zum einen der
+Gedanke einer allmhlichen Sittenverfeinerung - l'adoucissement
+des moeurs im Sinne Mirabeaus des lteren; zum andern der
+Gedanke eines stufenweise sich vollziehenden geistigen und
+materiellen Fortschritts, wie er etwa in Frankreich den
+Entwrfen Raynals und Condorcets, spter den Theorien Saint-
+Simons, Comtes oder Guizots zugrundelag (Moras 1930). So sah es
+auch die englische Sozialphilosophie, die, nachdem sie noch im
+18. Jh. zwischen dem Fortschritt der Hflichkeit und
+Zivilisation und demjenigen der kommerziellen Knste
+unterschieden hatte (Ferguson 1986, 366), im 19. Jh. beide
+Linien zusammenzog und den Fortschritt der Zivilisation nunmehr
+im bergang von kriegerischen, durch Zwang integrierten
+Gesellschaften zu industriell-gewerblichen Aggregaten sah, die
+einem Zustand dauernden Friedens entgegenstrebten (Spencer 1887,
+II, 124ff., 180). Nichts illustriert die berzeugungskraft
+dieser Vorstellung besser als die Tatsache, da selbst ein Marx,
+der die "tiefe Heuchelei der brgerlichen Zivilisation und die
+von ihr nicht zu trennende Barbarei" brandmarkte (MEW 9, 225),
+keine Schwierigkeiten hatte, vom "great civilizing influence of
+capital" zu sprechen und als dessen Hauptmerkmal die Umwandlung
+der Produktion in ein "System der allgemeinen Ntzlichkeit"
+herauszustellen, "als dessen Trger die Wissenschaft selbst so
+gut erscheint wie alle physischen und geistigen Eigenschaften"
+(MEW 42, 323).
+S
+SIm 20. Jh. ist der Chor der Skeptiker, die diese
+Selbstbeglckwnschung der Moderne nicht mehr akzeptieren, immer
+lauter geworden. Die Bedenken richten sich, wie in anderen
+Texten dieses Bandes deutlich wird, gegen die objektiven Aspekte
+des sogenannten Zivilisationsprozesses, insbesondere gegen die
+Vorstellung einer kumulativen Steigerung von Reichtum und
+Ordnung. Sie richten sich aber auch, worauf im folgenden vor
+allem der Akzent gelegt wird, auf die subjektiven Aspekte, die
+Idee des perfectionnment de l'homme (Condorcet). Stand die
+Kritische Theorie noch weitgehend allein, als sie in den
+vierziger und fnfziger Jahren im Verfall der Konventionen, im
+Absterben des zeremoniellen Moments und im Niedergang von
+Hflichkeit und Takt Indizien fr den "Zerfallscharakter der
+Zivilisation" ausmachte (vgl. Adorno, GS 4, 38ff.; ders. 1956,
+87), so mehren sich heute die Stimmen, die darin nicht blo den
+Ausdruck einer elitren Kulturkritik sehen. So konstatiert
+ Richard Sennett eine allgemeine Tendenz zur Zunahme von
+"Unzivilisiertheit", die sich in Distanzverlust,
+Selbstbezogenheit und einer alle sozialen Beziehungen
+berwuchernden "Tyrannei der Intimitt" manifestiere (Sennett
+1983, 299). Neil Postman spricht vom "Verfall der civilit" und
+einer "allgemeinen Miachtung der fr Zusammenknfte im
+ffentlichen Raum geltenden Regeln und Rituale" (Postman 1983,
+151). In einem anderen vieldiskutierten Buch ist gar von einer
+"sterbenden Zivilisation" die Rede, in welcher das Leben immer
+barbarischer und kriegshnlicher werde (Lasch 1986, 261, 47).
+Paul Virilio endlich meint: "Das fortschreitende Verschwinden
+der Hflichkeit, die selber eine gespielte Aufnahme, einen
+Ersatz der primitiven Gastfreundschaft darstellte, uert sich
+heute in einer virilen Form von Kontakt, die man 'Offenheit'
+nennt, und mag letzten Endes zum gewohnheitsmigen Austausch
+schlechter Behandlung fhren" (Virilio 1978, 37).
+S
+SOb diese Diagnosen richtig sind, wird sich sicher nur in
+sorgfltigen empirischen Untersuchungen erweisen lassen. Bis
+dahin aber, und vielleicht als Vorbereitung dazu, mag es
+ntzlich sein, sich mit der Exposition zu befassen, die der
+Zivilisationsbegriff in der bislang grndlichsten Studie zu
+diesem Thema erfahren hat: Norbert Elias' Buch 'ber den Proze
+der Zivilisation'. Ich will im folgenden zunchst die
+wichtigsten Argumente dieses Buches skizzieren und dann einige
+Einwnde vorstellen, die sich heute, ein halbes Jahrhundert nach
+Erscheinen der ersten Auflage, aufdrngen. Abschlieend mchte
+ich die Frage errtern, ob der Zivilisationsbegriff in der ihm
+von Elias verliehenen Fassung ein Konzept ist, in dem sich die
+Problemlage der modernen Gesellschaft reflektieren lt.
+S
+S
+S
+S
+S
+S
+AABI
+S
+S
+SElias' Untersuchung beginnt mit begriffsgeschichtlichen
+Erwgungen. Zivilisation, so der erste Befund, bedeutet im
+deutschen Sprachraum etwas anderes als in Westeuropa, namentlich
+Frankreich und England. Whrend der Begriff dort als Bezeichnung
+fr den wirtschaftlichen, gesellschaftlichen, politischen und
+geistigen Fortschritt insgesamt dient, hat er im Deutschen nur
+einen eingeschrnkten Inhalt. Zivilisation ist hier ein Wert
+zweiten Ranges, eine Qualitt, die sich lediglich auf das
+uere, die Oberflche des Daseins bezieht. Die Bildung des
+Inneren dagegen, der Fortschritt auf geistigem und seelischem
+Gebiet, wird mit dem Begriff 'Kultur' belegt. Was in anderen
+Lndern des Abendlands als einheitliche und kontinuierliche
+Bewegung erscheint, zerfllt damit in Deutschland in zwei
+unterschiedliche Dimensionen, die sich zuweilen zum
+antithetischen Gegensatz verschrfen. Der Westen, lautet ein
+wichtiger Glaubenssatz der deutschen Ideologie bis hin zu den
+'Ideen von 1914', habe nur Zivilisation, wohingegen es die
+Deutschen bis zur Kultur gebracht htten.
+S
+ SDa Elias sich dafr entscheidet, die deutsche Version als
+Ausnahme zu behandeln und nicht weiter zu verfolgen, hngt mit
+seinen Vorstellungen ber die in der gesellschaftlichen
+Entwicklung zu bewltigenden Aufgaben zusammen. Diese
+Vorstellungen sind deutlich von der Soziologie des 19. Jhs.,
+insbesondere von Comte und Spencer, beeinflut. Wie der letztere
+sieht Elias die gesellschaftliche Entwicklung als Teil einer
+allgemeinen Evolution, die neben der berorganischen noch die
+organische und unorganische Entwicklung umfat und durch das
+Wechselspiel von Differenzierung und Integration vorangetrieben
+wird. Wie der erstere identifiziert er die
+Funktionsdifferenzierung mit der wirtschaftlichen Berufsteilung,
+die koordinierenden und integrierenden Institutionen mit dem
+Staat1. Eine Hierarchie dieser beiden Dimensionen kennt Elias
+nicht. Fr ihn handelt es sich um prinzipiell gleichrangige
+Erscheinungen, die jeweils unterschiedliche Aspekte ein und
+desselben Substrats darstellen - der Gesellschaft. Da er indes
+den Integrationsinstanzen die Fhigkeit zuspricht, die
+funktionsteiligen Prozesse "bis zu einem gewissen Grade (zu)
+steuern" (1971, 47)2, verschiebt sich der Fokus seiner Theorie
+stark auf die Integrationsebene, auf die Entstehung und
+Entwicklung jener Institutionen, die ber ein besonders hohes
+Steuerungspotential verfgen - die politischen Zentralorgane
+bzw., wie Elias mit Weber formuliert: die Monopolorganisationen
+physischer Gewaltsamkeit.
+S
+SIn dieser Vorentscheidung auf analytischer Ebene liegt die
+Wurzel der regulativen Idee von Elias' Zivilisationstheorie, der
+"Vermutung..., da der Aufbau des 'zivilisierten' Verhaltens
+aufs engste mit der Organisierung der abendlndischen
+Gesellschaften in der Form von 'Staaten' zusammenhngt (I,
+LXXVI). Je fortgeschrittener in einem bestimmten Gebiet die
+Staatsbildung, desto fortgeschrittener auch der Proze der
+Zivilisation; je unentwickelter andererseits die
+Zentralisierung, desto unentwickelter die Sitten, desto
+unvollendeter "jene Nivellierung und Angleichung der
+gesellschaftlichen Standarde (...), die fr diesen ganzen
+Zivilisationsproze charakteristisch ist" (II, 433).
+ Deutschland, das seit dem spten Mittelalter keinen Fortschritt
+im Ausbau seiner zentralstaatlichen Institutionen mehr erlebte,
+ist aus diesem Grund fr die Untersuchung des
+Zivilisationsprozesses weniger geeignet als etwa Frankreich, in
+dem diese Institutionen eine kontinuierliche Verstrkung
+erfuhren3.
+S
+SDen Ausbau des Zentralstaates in Frankreich unterteilt Elias in
+drei Etappen. Die erste Etappe fllt zusammen mit der Bildung
+ritterlicher Hfe zu Beginn des Hochmittelalters, welche die bis
+dahin in der weltlichen Herrenschicht dominierende Integration
+qua Kampf durch eine friedlichere und bestndigere Integration
+ersetzen. Auf diese 'ritterlich-hfische' Ordnung folgt im 16.
+Jh. die zweite Etappe, die 'hfisch-absolutistische
+Gesellschaft', die wohl im sozialen Aufbau noch an die
+stndische Gliederung des Mittelalters anknpft, auf politischer
+Ebene aber insofern eine nderung herbeifhrt, als sie die
+physische Gewalt in einer Monopolinstanz konzentriert. Die alte
+Kriegerelite wird nunmehr entmilitarisiert und in einen Hofadel
+verwandelt, was wiederum auf sozialer und wirtschaftlicher Ebene
+ die Bildung lngerer und komplexerer Interdependenzketten
+ermglicht. Die funktionale Differenzierung beschleunigt sich
+und lt neue, auf Beruf und produktiver Leistung beruhende
+Eliten entstehen, die ihrerseits nach Partizipation an den
+Entscheidungen des obersten Koordinations- und
+Regulierungsorgans streben.
+S
+SAus dieser Entwicklung geht - nach der Zwischenstufe einer
+'erweiterten hfischen Gesellschaft', in der hfisch-
+aristokratische und hfisch-brgerliche Kreise miteinander
+verkehren - das dritte und bisher letzte Stadium hervor: der
+brgerliche Nationalstaat. In ihm erreichen die Funktionsteilung
+und die allgemeine Interdependenz eine bis dahin unvorstellbare
+Dichte. Zugleich ist die Vernetzung soweit vorangeschritten, da
+die private Monopolisierung der mit der Zentralposition
+verbundenen Chancen nicht lnger perpetuierbar ist. Das
+Privatmonopol einzelner, schreibt Elias, vergesellschaftet sich
+und wird "zu einer Funktion des interdependenten
+Menschengeflechts als eines Ganzen", zu einem "ffentlichen"
+Monopol (II, 157). Darber hinaus zeichnen sich bereits Anstze
+zu einer vierten, endgltig letzten Phase der Gesamtentwicklung
+ab:
+S
+S"Man sieht die ersten Umrisse eines erdumfassenden Spannungssystems von
+Staatenbnden, von berstaatlichen Einheiten verschiedener Art, Vorspiele von
+Ausscheidungs- und Vormachtkmpfen ber die ganze Erde hin, Voraussetzung fr
+die Bildung eines irdischen Gewaltmonopols, eines politischen
+Zentralinstituts der Erde und damit auch fr deren Pazifizierung" (II, 452).
+S
+SDen hier nur knapp skizzierten Stadien der Zentralisierung
+ordnet Elias nun verschiedene Verhaltensmodelle oder -schemata
+zu, die gleichsam den subjektiven Niederschlag dieses Prozesses
+verkrpern. Der polyzentrischen Struktur des Mittelalters
+entspricht das Schema der courtoisie, das sich an den groen
+ritterlichen Feudalhfen bildet (I, 79, 136; II, 96ff., 109ff.,
+354ff.). Seine Merkmale sind: eine gewisse Migung der Affekte,
+eine, freilich noch sehr begrenzte, Aufwertung derjenigen, die
+nicht ber Gewaltmittel verfgen (vor allem der Frauen), die
+Ausbildung hfischer Manieren, die das gesellige Verhalten bei
+Tisch, beim Spiel oder im Turnier regeln, die Orientierung an
+ritterlichen Tugenden, wie sie vor allem von der Kirche (miles
+christianus-Ideal), aber auch von der weltlichen Dichtung
+propagiert werden (Artusepik)4.
+S
+SWhrend dieses Schema den Individuen jedoch noch uerlich
+bleibt und auerhalb des Interaktionszentrums 'Hof' rasch seine
+Wirkung verliert, verdichtet sich die soziale Kontrolle mit dem
+bergang zu einer monozentrischen, auf dem Gewaltmonopol
+beruhenden Konfiguration. Anstelle der blo intermittierenden,
+nur einen kleinen Teil der ritterlichen Existenz erfassenden
+courtoisie tritt jetzt ein neues Schema der Affektregulierung,
+das Elias im Anschlu an die Manierenschriften von Erasmus,
+della Casa, La Salle u.a. als civilit bezeichnet (I, 65ff.,
+89f., 136f.). Der durch die politische, soziale und
+wirtschaftliche Entwicklung in seiner Herrschaftsposition
+erschtterte Adel versucht in dieser Phase, seinen Platz an der
+Spitze der gesellschaftlichen Hierarchie durch einen verstrkten
+Einsatz von Distinktionsstrategien zu behaupten. Ein strenger
+ Verhaltenscode entsteht, der mehr und mehr den gesamten Habitus
+umfat. Die hfische Interaktion, vor allem das Essen und die
+Konversation, wird stark ritualisiert, wie Elias anschaulich an
+der Geschichte des Messer- und Gabelrituals demonstriert. Die
+Kleidung wird bewut als Unterscheidungs- und Prestigemittel
+eingesetzt, ebenso die Gestik und der sprachliche Ausdruck.
+Fragen des guten Benehmens und des richtigen Geschmacks werden
+zu Fragen, die ber den Platz in der Rangordnung entscheiden
+knnen; Takt, Delikatesse und Stil zu Formen, von denen das
+soziale berleben abhngen kann. Selbst- und Fremdbeobachtung
+erreichen eine bis dahin unbekannte Intensitt, die
+psychologische Kriegfhrung wird zur unentbehrlichen Waffe in
+der Prestigekonkurrenz.
+S
+SAuch dieses neue, im Vergleich zur courtoisie ungleich strengere Schema der Affektmodellierung ist jedoch nach Elias in
+der Psychostruktur noch nicht sehr fest verankert. Die Tabus und Rituale des hfischen Lebens treten dem einzelnen wohl
+als klar umrissene Imperative entgegen, die ihn zu einer permanenten berwachung seiner Affekte und Triebregungen
+veranlassen. Diese aber erfolgt hauptschlich ber eine bewute Selbststeuerung, psychoanalytisch gesprochen ber
+Ich-Leistungen (Vowinckel 1983, 196). Der Hofmann mu, wie bei Castiglione nachzulesen, seine unterschiedlichen
+Fhigkeiten so ausbalancieren, da er zu einer Art vollkommenen Gesamtkunstwerks wird; er mu, wie bei Gracian,
+seine Leidenschaften bewut domestizieren, jedoch nicht, um sie abzutten, sondern um sie im geeignetsten Moment
+zu befriedigen (ebd. 95). Die soziale Kontrolle vollzieht sich deshalb noch primr ber die Vermittlung des Ichs, das sich
+den Zwngen der sozialen Umwelt anpat, aber keineswegs vllig ausliefert. Sie bleibt dem einzelnen uerlich, wirkt
+"noch nicht als automatisch funktionierender Selbstzwang, als Gewohnheit, die bis zu gewissen Grenzen auch
+funktioniert, wenn der Mensch allein ist; sondern man legt sich hier zunchst immer jemandem andern gegenber, also
+bewuter aus gesellschaftlichen Grnden, Triebverzicht und Zurckhaltung auf. Und die Art der Zurckhaltung, wie ihr
+Ma entsprechen hier der sozialen Stellung dessen oder derer, denen gegenber er sie sich auferlegt" (I, 186). Im
+Stadium der civilit ist die gesellschaftliche Verflechtung schon so stark, um die einzelnen zur Anpassung zu zwingen,
+aber noch nicht stark genug, um die Einzelheit als solche zu negieren und in einen 'Verkehrsknotenpunkt des
+Allgemeinen' (Horkheimer/Adorno) zu verwandeln.
+S
+SWesentlich weiter in dieser Richtung geht das Schema der
+civilisation, das in der zweiten Hlfte des 18. Jhs. die
+civilit ablst (I, 47ff.). Getragen von den Reformgruppen des
+Ancien Rgime - dem Beamtentum und den Spitzen des Brgertums -
+zielt dieses Schema auf eine Universalisierung und
+Stabilisierung der mit der civilit bereits erreichten
+Sittenverfeinerung und Rationalitt. Die Universalisierung
+impliziert die Ausdehnung der Vernunft auf die Gesetze und
+Institutionen des Landes sowie auf die Sitten der gesamten
+Nation. Elias spricht von einer Einschmelzung von
+Verhaltensweisen der funktional oberen Schichten in das der
+aufsteigenden unteren und rckt diesen Vorgang in die Nhe von
+Kolonisationsprozessen. So wie im 19. Jh. die abendlndischen
+Nationen die auereuropische Welt unterworfen und okzidentalen
+Denk- und Verhaltensmustern assimiliert htten, seien zuvor im
+Abendland selbst die Unter- und Mittelschichten den Standards
+der Oberschichten unterworfen und assimiliert worden (II, 341,
+346, 350, 420f.)
+S
+SDie Stabilisierung impliziert die Verfestigung der zivilisierten
+Verhaltensformen zu einem 'Panzer', der die ganze Persnlichkeit
+und jede ihrer uerungen umschliet (I, 332). Dies wird durch
+eine bereits in der frhesten Kindheit einsetzende
+Konditionierung erreicht, die darauf hinarbeitet, da sich im
+einzelnen "gleichsam als eine Relaisstation der
+gesellschaftlichen Standarde, eine automatische
+Selbstberwachung der Triebe im Sinne der jeweiligen
+ gesellschaftsblichen Schemata und Modelle, eine 'Vernunft', ein
+differenziertes und stabileres 'ber-Ich' herausbildet, und da
+ein Teil der zurckgehaltenen Triebregungen und Neigungen ihm
+berhaupt nicht mehr unmittelbar zum Bewutsein kommt" (II,
+329). In diesem Sinne erfllt das ber-Ich in der brgerlichen
+Gesellschaft die Steuerungsfunktionen, die in der hfischen
+Gesellschaft noch dem Ich vorbehalten waren.
+S
+SElias bersieht nicht die Unterschiede zwischen diesen beiden
+Formen der Steuerung. Im Rahmen seiner Konstruktion eines
+kontinuierlich verlaufenden Zivilisationsprozesses interpretiert
+er ihre Abfolge jedoch primr als eine Steigerung der sozialen
+und psychischen Integration durch Tieferlegung der
+Kontrollmechanismen. Jene Zwnge, die im Schema der courtoisie
+und der civilit vielfach nur als uere Schranke, als
+Fremdzwang wirkten, werden jetzt verinnerlicht, mit der
+Perspektive, da dadurch der Fremdzwang zunehmend entbehrlich
+wird und irgendwann einmal ganz verschwinden kann (1983, 123f.).
+Wie diese, freilich erst nach Vollendung der Pazifizierung auf
+Weltebene denkbare, neue Form der Selbststeuerung beschaffen
+sein knnte, verrt Elias nicht. Da die Entwicklung in diese
+Richtung geht, erscheint ihm aber als ebenso ausgemacht wie die
+Tendenz zur berwindung des brgerlichen Nationalstaates (1987,
+224f.). Sind einmal die zwischenstaatlichen Spannungen
+beseitigt, so die an Kants Vision vom 'Ewigen Frieden'
+erinnernde Schlupassage des Zivilisationsbuches, kann sich die
+Regelung der sozialen Beziehungen auf das rein sachlich
+Notwendige beschrnken, und knnen sich die Spannungen und
+Widersprche auch in den Menschen selbst mildern. Dann erst
+braucht es nicht mehr die Ausnahme, sondern
+S
+S"kann es die Regel sein, da der einzelne Mensch jenes optimale Gleichgewicht seiner Seele findet, das wir so oft mit
+groen Worten, wie 'Glck' und 'Freiheit' beschwren: ein dauerhaftes Gleichgewicht oder gar den Einklang zwischen
+seinen gesellschaftlichen Aufgaben, zwischen den gesamten Anforderungen seiner sozialen Existenz auf der einen Seite
+und seinen persnlichen Neigungen und Bedrfnissen auf der anderen" (II, 454. Hervorh. i.O. gestr.).
+S
+SDie groe Linie ist damit klar. Zivilisation ist fr Elias ein
+Proze, in dessen Verlauf sich immer strengere Schemata der
+Selbstkontrolle herausbilden und sowohl immer weitere
+Bevlkerungskreise ergreifen als auch psychostrukturell immer
+tiefer gelagert werden. Dieser Proze ist die subjektive Seite
+eines gesamtgesellschaftlichen Differenzierungs- und
+Integrationsvorgangs, der zu einer immer perfekteren Kontrolle
+der Gesellschaft ber die Naturbedingungen ihres berlebens wie
+ber die Bedingungen des sozialen Zusammenlebens fhrt5. Elias
+verschweigt nicht den Preis, den die Individuen dafr zahlen
+mssen: die permanente Konditionierung, die Verdrngung und
+Ansthesierung von Triebregungen, den Aufbau von inneren
+ngsten, die Wahrscheinlichkeit der neurotischen Erkrankung.
+Insgesamt sieht er aber diese Kosten mehr als aufgewogen durch
+die Distanzierungs- und Steuerungsgewinne, die dem einzelnen
+sowohl als der Gesellschaft in diesem Proze zuwachsen. Etwas
+vereinfacht lt sich dieser Proze in dem folgenden Schema
+darstellen:
+S
+S
+S
+S
+ AABSoziogenese Ritterlich Hfisch- Brgerlich ' Welt'-
+ hfische absolu- indu- gesell-
+ Gesell- tistische strielle schaft
+ schaft Gesell- Gesell-
+ schaft schaft
+
+
+
+Steuerungs- Feudalhof Absoluti- National- Weltstaat
+Zentrum stischer Staat
+ Staat
+
+
+Verhaltens- courtoisie civilit civilisa- Weltzivi-
+Code tion lisation
+
+
+Psychogenese Es/Ich Ich-Domi- ber-Ich- Gleichge-
+ (undiffe- nanz Dominanz wicht von
+ ziert) Ich, Es,
+ ber-Ich
+
+
+ PA
+II
+S
+S
+AAF 1. Auch der voreingenommene Betrachter wird zugestehen, da Elias'
+Rekonstruktion des Zivilisationsprozesses groe Strken hat. Der
+figurationssoziologische Ansatz trgt politischen, konomischen und
+psychologischen Faktoren gleichermaen Rechnung und gelangt damit zu
+einem breit angelegten Panorama der zivilisatorischen Entwicklung. Die
+konstitutive Rolle der Hfe in der ritterlich-feudalen und
+absolutistischen Gesellschaft wird einleuchtend begrndet, die Bildung
+von Gewalt- und Abgabenmonopolen schlssig nachgezeichnet; lediglich
+die Rolle der Religion wird zu wenig beachtet, was mglicherweise bei
+vergleichenden Untersuchungen ein Nachteil sein knnte. Zu den
+Glanzstcken des Buches gehrt die Herausarbeitung des Parallelismus
+von Soziogenese und Psychogenese, mit der gleichsam eine Brcke
+zwischen der Herrschaftssoziologie Webers, der Differenzierungstheorie
+in der Tradition Durkheims und Spencers und der Freudschen
+Psychoanalyse geschlagen wird.
+
+ Dennoch drngen sich bei einer genaueren Betrachtung drei Einwnde
+auf, die zwar aus unterschiedlichen theoretischen Zusammenhngen
+stammen, gleichwohl miteinander kompatibel sind6.
+
+ Der erste Einwand ergibt sich aus der dialektischen Theorie und
+richtet sich gegen den soziogenetischen Strang der
+Zivilisationstheorie. Elias, so erscheint es aus dieser Sicht, hat nur
+eine unzureichende Vorstellung von den Integrationsproblemen, die mit
+einem bestimmten Grad der Funktionsdifferenzierung auftreten. Seine
+These, da die Entwicklung zur modernen Gesellschaft von einer immer
+"strafferen Regulierung und berwachung des gesamten
+gesellschaftlichen Verkehrs von stabilen Zentralen" aus begleitet sei
+(II, 227), bersieht, da ein durch kapitalistische Warenproduktion
+bestimmtes System nicht direkt durch die Vorgaben eines planenden
+Zentrums, sondern nur indirekt durch die Vermittlung des Marktes
+gesteuert wird. Das, was ihre Arbeiten gesellschaftlich gelten,
+erfahren die - individuellen oder korporativen - Produzenten immer nur
+post festum, in der Besttigung ihrer Produkte als Wertgren, die
+erst nach Abschlu der Produktion, im Austausch, mglich ist. Hier
+jedoch gilt,
+
+ "da die unabhngig voneinander betriebenen, aber als naturwchsige Glieder der gesellschaftlichen Teilung der Arbeit
+allseitig voneinander abhngigen Privatarbeiten fortwhrend auf ihr gesellschaftlich proportionelles Ma reduziert werden, weil
+sich in den zuflligen und stets schwankenden Austauschverhltnissen ihrer Produkte die zu deren Produktion gesellschaftlich
+notwendige Arbeitszeit als regelndes Naturgesetz gewaltsam durchsetzt, wie etwa das Gesetz der Schwere, wenn einem das Haus
+ber dem Kopf zusammenpurzelt" (Marx, MEW 23, 89).
+AAF
+ Unter diesen Umstnden ist es eine sehr verkrzte
+Betrachtungsweise, wenn man, wie Elias, Unberechenbarkeit und Willkr
+primr in der physischen Gewaltsamkeit lokalisiert und aus der
+unbestreitbaren Tatsache ihrer Kasernierung im modernen Staat auf eine
+Zunahme der gesamtgesellschaftlichen Stabilitt und Kalkulierbarkeit
+schliet. Auch und gerade nach der Bildung von Gewaltmonopolen auf dem
+Territorium einzelner 'Staatsgesellschaften' bleibt mit dem nationalen
+Binnenmarkt und dem Weltmarkt eine Dimension des Zufalls und der
+Anarchie, die sich individuellen Handlungskalklen grundstzlich
+entzieht. Und obschon dies keineswegs bedeutet, da es die brgerlich-
+industrielle Gesellschaft nicht zu Einheit und Integration zu bringen
+ vermag, heit es doch immerhin, da sich diese Einheit und Integration
+"nur a posteriori als innre, stumme, im Barometerwechsel der
+Marktpreise wahrnehmbare, die regellose Willkr der Warenproduzenten
+berwltigende Naturnotwendigkeit" durchsetzt. Elias hat recht, wenn
+er darauf hinweist, da die Kasernierung der politischen Gewalt einen
+wichtigen Schritt zur berwindung des Naturzustands darstellt. Er
+vergit jedoch hinzuzufgen, da sich dieser Naturzustand unter
+brgerlichen Produktionsbedingungen in anderer Form wiederherstellt:
+gewhrleistet doch die Konkurrenz die Existenz der Individuen nur auf
+die Weise, "wie auch im Tierreich das bellum omnium contra omnes die
+Existenzbedingungen aller Arten mehr oder minder erhlt" (ebd. 377).
+
+ Diese berlegung zwingt dazu, einen der Eckpfeiler von Elias'
+Konstruktion zu problematisieren: die Idee eines Kontinuums der
+Vergesellschaftung, das sich von der ritterlich-hfischen ber die
+hfisch-absolutistische bis hin zur brgerlich-industriellen
+Gesellschaft erstreckt. Wohl lt sich die Entwicklung von den
+feudalen Minnehfen zu den Residenzen des Barockzeitalters unter dem
+Blickwinkel einer Verdichtung und Intensivierung hfischen Lebens
+begreifen, und kann die Ausbildung einer 'guten Gesellschaft' verfolgt
+werden, deren Auslufer bis in die brgerlichen Salons des 19. Jhs.
+reichen. Diese Art der sozialen Verknpfung, die im wesentlichen auf
+Interaktion, d.h. auf Kommunikation unter Anwesenden beruht, mu indes
+strikt von dem Vergesellschaftungsmodus getrennt werden, der fr eine
+entfaltete Marktgesellschaft typisch ist. Vergesellschaftung ber den
+Markt ist eine paradoxe Form von Vergesellschaftung. Sie erzeugt auf
+der einen Seite, wie Elias richtig gesehen hat, ein hochkomplexes
+System von Interdependenzen, in dem die Individuen so stark vernetzt
+sind wie niemals zuvor in der Geschichte. Auf der anderen Seite aber
+treibt sie durch die Forcierung der Konkurrenz und durch die
+Universalisierung der brgerlichen Rechtsprinzipien den
+Vereinzelungsproze in einer historisch ebenfalls beispiellosen Weise
+voran. Markt, das kann man nicht nachdrcklich genug hervorheben,
+aggregiert nicht nur, er disaggregiert auch; schafft nicht nur neue
+Verflechtungen, sondern negiert immer auch die Verflechtungen, die er
+selbst erzeugt hat.
+
+ Das lt sich bereits am Schicksal der kleinsten sozialen Einheit
+zeigen, in der Elias mit Recht das Konditionierungsinstrument der
+brgerlichen Gesellschaft par excellence sieht: der Kleinfamilie.
+Selbst ein Produkt des modernen Differenzierungsprozesses, in dessen
+Verlauf die produktive Lohnarbeit vorrangig den mnnlichen
+Erwachsenen, die nichtproduktive Subsistenzarbeit einschlielich der
+Kindererziehung dagegen den Frauen zugewiesen wurde, befindet sich
+dieser Familientypus heute durch die rechtliche und zunehmend auch
+faktische Gleichstellung der Frauen in einer fortschreitenden Erosion.
+Die Individuen werden aus den bis dahin gltigen, quasistndischen
+Vorgaben des Geschlechts herausgelst und gezwungen, sich selbst zum
+Zentrum ihres eigenen Lebens zu machen. Die fr die Moderne typische
+Temporalisierung erfat auch die Ehe und unterwirft sie den Rhythmen
+der 'seriellen Monogamie' (Shorter). Die Familie wird zur
+'Verhandlungsfamilie auf Zeit' (Beck), deren Mitglieder einen
+stndigen Kampf um den Ausgleich zwischen beruflichen und emotionalen
+Interessen ausfechten mssen. Die Fragmentierung und Atomisierung
+ergreift damit unwiderruflich auch jenen Bereich, der noch dem frhen,
+puritanischen Brgertum als ein so sicheres Fundament gegolten hatte,
+da es von ihm her die gesamte Gesellschaft erneuern zu knnen
+geglaubt hatte.
+
+ "In dem zu Ende gedachten Marktmodell der Moderne wird die familien- und ehelose Gesellschaft unterstellt. Jeder mu
+selbstndig, frei fr die Erfordernisse des Marktes sein, um seine konomische Existenz zu sichern. Das Marktsubjekt ist in letzter
+Konsequenz das alleinstehende, nicht partnerschafts-, ehe- oder familien'behinderte' Individuum. Entsprechend ist die
+durchgesetzte Marktgesellschaft auch eine kinderlose Gesellschaft - es sei denn, die Kinder wachsen bei mobilen,
+alleinerziehenden Vtern und Mttern auf" (Beck 1986, 191).
+AAF
+ Man mu nur einen Blick auf die Geburtenrate in der Bundesrepublik
+werfen, um sich vom Realittsgehalt dieser berlegungen zu berzeugen.
+
+ hnliche Dekompositionserscheinungen zeigen sich auch an
+komplexeren sozialen Aggregaten, die einmal die Struktur der
+brgerlichen Industriegesellschaft prgten. Insbesondere der
+Klassenbegriff, der sich noch im 19. Jh. brgerlichen und
+sozialistischen Theoretikern gleichermaen aufdrngte, hat in den
+fortgeschrittenen kapitalistischen Lndern seine Bedeutung fr die
+Bildung kollektiver Identitten fast vllig verloren. "Der
+unermeliche Druck der Herrschaft", so hat Adorno dies bereits vor
+mehr als vierzig Jahren formuliert, "hat die Massen so dissoziiert,
+da noch die negative Einheit des Unterdrcktseins zerrissen wird, die
+im neunzehnten Jahrhundert sie zur Klasse macht" (Adorno, GS 8,377).
+Nicht da der Gegenstand des Begriffs - die objektive Bndelung von
+Ungleichverteilungen - damit verschwunden wre: soziale Ungleichheiten
+haben nicht ab-, sondern zugenommen. Aber die Auflsung
+klassenspezifischer Lebensformen durch die Erhhung des
+gesamtgesellschaftlichen Konsumniveaus, der Rckgang des
+Beschftigtenanteils im industriellen Sektor, der - in den USA
+besonders drastische - Bedeutungsverlust der Gewerkschaften, die
+allgemeine Schrumpfung der 'Erwerbsarbeitsgesellschaft' (Beck) in den
+hochindustrialisierten Lndern, die Bewltigung der
+Massenarbeitslosigkeit in Form von Unterbeschftigung und
+lebensphasenspezifischer Verteilung der knapper gewordenen Lohnarbeit
+- dies alles hat zu einer Erosion der im Klassenbegriff immer
+mitgedachten kollektiven Identitt gefhrt, durch welche die
+Individuen in zunehmendem Mae auf sich selbst zurckgeworfen werden.
+Soziale Klassen, urteilt Luhmann zutreffend, sind heute Schichten,
+"die darauf verzichten mssen, Interaktion zu regulieren" (Luhmann
+1985c, 131; zur Diskussion ber den Klassenbegriff vgl. auch Ritsert
+1987).
+
+ Vielleicht mu man noch einen Schritt weitergehen und von einer
+Erosion der fr die soziale Identittsbildung konstitutiven Sphre der
+ffentlichkeit schlechthin sprechen. Fr Elias steht eine derartige
+Mglichkeit ganz auer Betracht, obwohl der Verfall der aus dem 19.
+Jh. berkommenen Formen von ffentlichkeit zu den Kardinalthemen der
+Weimarer Republik gehrte (Schmitt 1979a): der die Bildung von
+Gewaltmonopolen begleitende Proze der sozialen Verflechtung macht es
+der Zivilisationstheorie zufolge an einem bestimmten Punkt der
+Entwicklung unausweichlich, die privaten Verfgungschancen ber die
+politischen und wirtschaftlichen Apparate aufzuheben und die
+Privatmononopole in ffentliche Monopole umzuwandeln (II, 148ff.,
+438ff.). Aus heutiger Sicht ist die Moderne jedoch nicht nur durch
+eine Erweiterung des ffentlichen auf Kosten des Privaten
+gekennzeichnet, sondern ebenso durch eine Privatisierung des
+ffentlichen, durch die wesentliche Merkmale von ffentlichkeit
+zerstrt werden. Dies gilt, worauf schon Habermas hingewiesen hat, fr
+den Aufstieg der Verbnde und der Massenmedien, die die kritische
+Publizitt durch eine manipulativ erzeugte verdrngen (Habermas 1968).
+ Es gilt aber auch in dem umfassenderen Sinne einer berlagerung und
+Modifizierung spezifisch ffentlicher Denk- und Verhaltensmodelle
+durch die private Vorstellungswelt, wie sie Richard Sennett in seinem
+Buch ber das Verschwinden des Public Man darstellt. Die moderne
+Gesellschaft erscheint danach nicht als eine zivilisierte, durch
+Selbstdistanz und rationale Interessenverfolgung bestimmte Vereinigung
+von Menschen, sondern im Gegenteil als ein Ensemble 'destruktiver
+Gemeinschaften', in denen manche sogar eine Wiederkehr der
+Stammesverbnde zu entdecken glauben7.In der 'intimen Gesellschaft'
+der Gegenwart, so Sennett, haben die Menschen die Fhigkeit verloren,
+ffentlich, d.h. unter Absehung von ihrer je besonderen Person, zu
+handeln. Die soziale Interaktion schrumpft zu einem bloen Medium des
+Selbstausdrucks und der Selbstvergewisserung, die Aktivitt zu einer
+nicht endenden Suche nach narzitischen Gratifikationen, die sich
+nicht zuletzt im Streben nach Identifikation mit grandiosen
+'Kollektivpersnlichkeiten' realisiert (Sennett 1983, 251ff.). Auch
+wenn Sennetts Ursachenerforschung mit dem Hinweis auf Erscheinungen
+wie Skularismus und Symbolismus etwas bla ausfllt und in ihren
+historischen Partien nicht durchweg zu berzeugen vermag, sollte die
+Erfahrung mit den Massenbewegungen dieses Jahrhunderts Anla genug
+sein, seine Hypothesen nicht auf die leichte Schulter zu nehmen8.
+
+ Die Entwicklung der modernen Gesellschaft, dies kann als Resmee
+des 'dialektischen' Einwands gegen die Zivilisationstheorie
+festgehalten werden, lt sich nicht einfach unter dem Gesichtspunkt
+einer stndigen Ausdehnung der sozialen Verflechtung begreifen, die
+Konkurrenz nicht blo als Medium, das die Bildung immer umfassenderer
+und hherstufiger Aggregate vorantreibt. Vielmehr ist auch das
+Gegenteil zu beobachten. Soziale Verknpfungen, die mit der
+brgerlichen Gesellschaft entstanden sind, werden dekomponiert,
+Solidarittsbeziehungen ausgednnt oder ganz gesprengt.
+Marktvergesellschaftung bedeutet Steigerung der Interdependenz und
+Atomisierung des Sozialen, Vernetzung und Negation aller Bindungen -
+asoziale Sozialitt. Sie forciert die Differenzierung und zerstrt
+doch zugleich durch die universale Vergleichbarkeit aller Arbeiten im
+Tauschwert die Bedingungen der Mglichkeit von Differenz. Sie erzwingt
+eine immer dichter werdende Integration der Gesellschaft und
+verhindert doch, da daraus ein gesellschaftliches Subjekt entsteht.
+Die Integration vollzieht sich hinter dem Rcken der handelnden
+Individuen und macht sich in einer Form geltend, die unmittelbar
+betrachtet als das Gegenteil aller Integration erscheint. Durch ihre
+einseitige Fixierung auf Synthese, die Regressionen zwar nicht
+ausschliet, aber eher als zufalls- denn als systemgeneriert versteht
+(1987, 184), verstellt sich die Zivilisationstheorie die Einsicht in
+den Umstand, da die Logik der Vergesellschaftung auch eine 'Logik des
+Zerfalls' (Adorno) ist. Sie fllt damit noch hinter den
+Reflexionsstand der lteren Soziologie von Comte bis Durkheim zurck,
+der bei allem Vertrauen in die Integrationskraft des Staates oder die
+solidarittsstiftenden Wirkungen der Arbeitsteilung die negative Seite
+der funktionalen Differenzierung nie ganz aus dem Blickfeld geriet.
+Bedenkt man, da 'ber den Proze der Zivilisation' in unmittelbarer
+Zeitgenossenschaft mit der grten Krise der modernen
+Weltwirtschaftsordnung entstand, kann man sich ber diesen
+Reflexionsverlust nicht genug wundern.
+
+
+
+ 2. Diese Kritik wird durch den zweiten Einwand erhrtet, der sich
+ aus dem Gang der psychoanalytischen Theoriebildung ableiten lt. Die
+Integration Freudscher Begriffe, insbesondere des Strukturmodells des
+psychischen Apparats, gehrt zweifellos zu den starken Seiten der
+Zivilisationstheorie, ermglicht sie es doch Elias, auf
+psychogenetischer Ebene die Unterschiede zwischen brgerlichen und
+vorbrgerlichen Formen weitaus genauer zu erfassen, als es ihm auf
+soziogenetischer Ebene gelingt. So arbeitet Elias przise den Wechsel
+in der Konditionierungsinstanz heraus - den bergang von der
+ffentlich-hfischen zur privat-familialen Form der
+Affektmodellierung. So erkennt er richtig den Wechsel in der
+Konditionierungsmethode - die Umwandlung von Fremdzwang in Selbstzwang
+via Verinnerlichung und Identifikation. Und so vermag er schlielich
+auch deutlich zu machen, zu welch neuartigem Ergebnis diese
+Vernderungen fhren: einem Sozialcharakter, der durch eine bisher
+nicht dagewesene Differenzierung zwischen Ich- und ber-Ich-Funktionen
+auf der einen und Triebfunktionen auf der anderen Seite gekennzeichnet
+ist (vgl. II, 390f.; 1987, 85).
+
+ Diese Einsichten fhren Elias jedoch nicht zu einer Revision
+seiner These vom zivilisatorischen Kontinuum. Im Gegenteil. Wie der
+brgerliche Nationalstaat ihm nur als Steigerungsform der mit dem
+Absolutismus bereits erreichten Zentralisierung gilt, so erscheint ihm
+auch das brgerliche Schema der Affektregulierung letztlich nur als
+Fortfhrung und Verdichtung des hfischen Schemas, was nicht nur in
+expliziten Formulierungen, sondern weit mehr noch stilistisch in der
+hufigen Verwendung des Komparativs seinen Ausdruck findet: so etwa,
+wenn Elias vom "bergang zu einem 'rationaleren' Verhalten und Denken,
+ebenso wie (dem) zu einer strkeren Selbstkontrolle" spricht (II,
+394), wenn er den "Zwang zu einer differenzierteren
+Selbstdisziplinierung, zu einer festeren ber-Ich-Bildung" heraushebt
+(II, 351), die Ausbildung einer "stabilere(n), zum guten Teil
+automatisch arbeitende(n) Selbstkontrollapparatur" vermerkt (II, 320)
+oder die Durchsetzung eines "affektneutraleren" Gesamtverhaltens
+behauptet (II, 373f.). Gewi: der brgerliche Sozialcharakter ist
+anders als der aristokratische. Aber fr Elias ist er dies vor allem
+im Sinne eines Mehr an Kontroll- und Steuerungskapazitten, welche im
+aristokratischen Charakter in nuce bereits angelegt waren. Und er
+besitzt dieses Mehr hauptschlich deshalb, weil die brgerliche,
+familial vermittelte Erziehung einen erfolgreichen Weg gefunden hat,
+um die soziale Kontrolle in das Individuum hineinzuverlagern: die
+Verinnerlichung.
+
+ Aus psychoanalytischer Sicht kann man diese Auffassung nur als
+sehr selektiv bezeichnen (Lasch 1985, 712ff.). Da die Verinnerlichung
+ein bedeutendes Mittel der zivilisatorischen bzw. kulturellen
+Entwicklung ist, die Voraussetzung dafr, da aus Kulturgegnern
+Kulturtrger werden (Freud IX, 145), ist zwar ein Grundmotiv Freuds,
+der in seinen Arbeiten hufig die disziplinierenden und
+sozialisierenden Funktionen des ber-Ichs hervorgehoben hat: das ber-
+Ich ist die Basis der Religion, der Moral und des sozialen Empfindens,
+es ist der "Trger der Tradition, all der zeitbestndigen Wertungen,
+die sich auf diesem Wege ber Generationen fortgepflanzt haben" (Freud
+I, 505), es tritt dem Individuum als ein kategorischer Imperativ
+entgegen und bewirkt dadurch jene Umwandlung, durch die es erst
+moralisch und sozial wird (Freud III, 315; IX, 145). Im Gegensatz zu
+Elias sieht Freud in diesem Mechanismus jedoch nicht erst eine
+Errungenschaft der Neuzeit; darber hinaus macht er klar, da es sich
+um eine hchst ambivalente Einrichtung handelt. Das ber-Ich ist
+ nmlich nicht nur, wie Elias meint, ein "Abdruck der Gesellschaft im
+Innern" (I, 173), es ist gleichzeitig "der Erbe des dipuskomplexes
+und somit Ausdruck der mchtigsten Regungen und wichtigsten
+Libidoschicksale des Es. Durch seine Aufrichtung hat sich das Ich des
+dipuskomplexes bemchtigt und gleichzeitig sich selbst dem Es
+unterworfen. Whrend das Ich wesentlich Reprsentant der Auenwelt,
+der Realitt ist, tritt ihm das ber-Ich als Anwalt der Innenwelt, des
+Es gegenber" (Freud III, 3O3).
+
+ Diese Aussage bedarf einer kurzen Erluterung. Freud teilt mit
+Elias die Auffassung, da das ber-Ich im einzelnen die
+gesellschaftliche Allgemeinheit vertritt und damit als Conditio sine
+qua non der Zivilisation bzw. der Kultur fungiert. Whrend Elias
+jedoch dazu neigt, die Aufrichtung dieses ber-Ichs eher
+behavioristisch als Ergebnis von Konditionierungsvorgngen anzusehen,
+eine triebtheoretische Begrndung jedenfalls nicht gibt9, kreisen
+Freuds Bemhungen gerade um diese letztere. Das Soziale, so sein
+Gedanke, kann nur dann im einzelnen seinen Niederschlag finden, wenn
+es sich mit bestimmten Triebregungen legiert und in der Triebkonomie
+selbst einen Sttzpunkt findet. Dies geschieht nach Freud primr in
+der dipalen Phase. Das Kind mu auf dieser Stufe seiner Entwicklung
+auf die intensiven Liebes- und Feindseligkeitswnsche gegenber seinen
+Eltern vezichten, und es lst diese Aufgabe durch Identifizierung,
+durch Neuschpfung des aufgegebenen Objekts in seinem Innern (Freud I,
+502). Teile der libidinsen Energien flieen dem 'Ich-Ideal' zu,
+dessen Definition bei Freud allerdings starken Schwankungen unterliegt
+(vgl. Chasseguet-Smirgel 1981, 215ff.); Teile der aggressiven
+Energien, namentlich die Kastrations- und Todeswnsche gegen den
+dipalen Rivalen, dem Gewissen und dem Schuldgefhl, den wichtigsten
+Komponenten des ber-Ichs (Freud III, 304). Die sozialisierende
+Leistung des ber-Ichs ruht somit triebkonomisch gesehen auf einem
+asozialen, ja antisozialen Fundament: der Aggression, die gleichsam
+nur von auen nach innen umgelenkt wird.
+
+ Diese Zusammenzwingung zweier entgegengesetzter Tendenzen fhrt
+nach Freud zu einer uerst labilen Konstellation. Schon in 'Das Ich
+und das Es' notiert er, da je mehr ein Mensch seine Aggression nach
+auen einschrnke, er desto aggressiver und strenger in seinem ber-
+Ich werde. Das ber-Ich werde 'hypermoralisch' und wende sich mit der
+gleichen Grausamkeit gegen das Ich wie in anderen Konflikten das Es
+(Freud III, 320f.). Was hier noch rein individualpsychologisch als
+Neigung zur Zwangsneurose oder zur Melancholie diagnostiziert wird,
+wird spter zu einer These ber die Pathologie der kulturellen
+Gemeinschaften erweitert. Der Preis fr den Kulturfortschritt, heit
+es in 'Das Unbehagen in der Kultur', liege in der "Glckseinbue durch
+die Erhhung des Schuldgefhls" (Freud IX, 26O). Bereits in der
+Familie sei das Zusammenleben nur mglich durch den Verzicht auf die
+dipalen Bedrfnisse und durch die Einsetzung des Gewissens. Jede
+Erweiterung der sozialen Verbnde setze diesen Konflikt fort und habe
+eine weitere Steigerung des Schuldgefhls zur Folge. Der Kulturproze
+gehorcht einer unheilvollen Mechanik. Je mehr im Laufe der
+Vergesellschaftung die unmittelbare Aggression zwischen den Individuen
+abgebaut wird, desto mehr baut sie sich in den Individuen auf. Je
+geringer die Macht der Triebe und Affekte im sozialen Verkehr, desto
+grer die 'gesellschaftliche Produktion von Unbewutheit' (Erdheim)
+und der Druck des Verdrngten auf das Ich (vgl. Freud IX, 258f.). Da
+der Mensch jemals jenes "optimale Gleichgewicht seiner Seele" finden
+knnte, wie Elias dies fr den vollendeten Zivilisationsproze in
+ Aussicht stellt, mu nach Freud als eine naive Utopie angesehen
+werden.
+
+ Es ist bekannt, da Freud trotz dieser dsteren Perspektive dem
+Ich noch gengend Kraft zutraute, um - notfalls mit Untersttzung der
+Psychoanalyse - der Wiederkehr des Verdrngten standzuhalten. Und es
+ist auch bekannt, worauf sich dieses Vertrauen grndete: auf die
+Annahme, da das ber-Ich der Erbe des dipuskomplexes sei und "erst
+nach der Erledigung desselben" eingesetzt werde (Freud 1964, 85): in
+einem Stadium mithin, in dem die psychosexuelle Entwicklung und die
+Ich-Reifung bereits ein gewisses Niveau erreicht haben. Der Einbruch
+des Sozialen, so kann man zugespitzt formulieren, erfolgt im
+Freudschen Modell auf einer Stufe, auf der das Ich bereits eine solche
+Strke erreicht hat, da es seine unterschiedlichen Phantasien,
+Wnsche und Objektbeziehungen zu einem kohrenten Funktionssystem zu
+integrieren vermag (vgl. Jacobson 1978, 136ff.)
+
+ Dieses Modell ist durch den Fortschritt der psychoanalytischen
+Erkenntnis nach Freud sowohl auf individual- wie auf
+sozialpsychologischer Ebene relativiert worden. Auf
+individualpsychologischer Ebene erhellten die wie immer auch
+unterschiedlichen und z.T. gegenstzlichen Forschungen der Englischen
+Schule, der genetischen oder strukturalistischen Schule und der
+Narzimus-Theorie die grundlegende Bedeutung, die der prdipalen
+Entwicklung im Rahmen des Sozialisationsvorgangs zukommt. Melanie
+Klein, Ernest Jones u.a. entdeckten die archaischen Vorstufen des
+ber-Ichs, die weniger durch Introjektionen der ueren Realitt als
+vielmehr durch Einverleibungen vor allem der destruktiv-sadistischen
+Projektionen des Kleinkindes bestimmt sind (vgl. Klein 1928/1985;
+1973, 21, 157ff.; Jones 1978). Ren Spitz, Margaret S. Mahler u.a.
+arbeiteten die konstitutive Funktion der Mutter-Kind-Dyade bzw.
+Symbiose sowie des Loslsungs- und Individuationsvorgangs heraus und
+dokumentierten die vielfltigen pathogenen Wirkungen, die ein
+psychotoxisches oder unzureichendes Verhalten der Mutter auf die
+Psyche des heranwachsenden Kindes haben kann (vgl. Spitz 1967; Mahler
+1972, 1978). Autoren wie Kohut und Kernberg endlich erklrten die
+zunehmende Zahl von Charakterstrungen mit einer mangelhaften Ablsung
+der narzitischen Energien von archaischen Objekten wie dem Gren-
+Selbst und den idealisierten Eltern-Imagines (Kohut 1976; Kernberg
+1978). Freuds Vorstellungen erwiesen sich vor diesem Hintergrund nicht
+als falsch, wohl aber als zu stark auf die vterliche Intervention in
+der dipalen Phase fixiert.
+
+ Noch weiter relativiert wurden diese Vorstellungen durch die
+psychoanalytisch orientierte Sozialpsychologie, die mit plausiblen
+Argumenten auf den Klassencharakter und die Historizitt der von Freud
+beschriebenen dipalen Konfiguration hinwies. Klassencharakter: denn
+diese Konfiguration, die durch die Intensitt der Mutter-Kind-Symbiose
+sowie durch die Sprengung derselben durch den verbietenden und Distanz
+zum Lustprinzip erzwingenden Vater bestimmt ist, spiegelt eindeutig
+die Zwnge der brgerlichen Kleinfamilie mit ihrer scharfen
+Rollentrennung. Historizitt: denn dieser Familientypus kann
+angesichts vernderter Arbeitsbedingungen und
+Geschlechtsrollenzuweisungen als kulturell nicht mehr so bestimmend
+wie noch zu Freuds Zeiten angesehen werden.
+
+ Dafr sind viele Ursachen verantwortlich, die hier nur angedeutet
+werden knnen: die 'Entwertung all der Eigenschaften, die einmal die
+ Vaterkultur getragen haben' (Mitscherlich), in erster Linie der
+individuellen Arbeitserfahrung und des familialen Besitzes von
+Produktionsmitteln; die Entstehung eines nivellierten Gesamtarbeiters
+(Marx), in dem die Proletarisierung Massenschicksal ist; die
+Ausdifferenzierung und Entkoppelung vormals in der Familie
+zusammengefater Lebenslagen; die 'Polizierung' der Familie durch
+brokratische Regelung und Verrechtlichung; schlielich die
+'Sozialisierung' der Elternfunktion durch Massenmedien, peer groups
+und Therapeuten. Das Stadium der 'individualistischen
+Vergesellschaftung' (Adorno), in dem sich Sozialisation ber die
+Identifikation mit einer zugleich bedrohlichen und idealisierten
+Person vollzog, scheint vorber zu sein. "Die unterdrckende
+Trieborganisation scheint kollektiv, und das Ich durch ein ganzes
+System extrafamilialer Einrichtungen und deren Vertreter vorzeitig
+sozialisiert zu sein" (Marcuse 1967, 98; vgl. Mitscherlich 1968,
+185ff., 310ff.; Lasch 1986, 179ff.).
+
+ Da Marcuse hier von vorzeitiger Sozialisierung spricht, meint
+nicht mehr und nicht weniger, als da der Zugriff des Ganzen auf das
+Individuum zu einem Zeitpunkt erfolgt, in dem der psychosexuelle
+Reifungsproze noch nicht zur Herausbildung eines stabilen und
+kohrenten Ichs gefhrt hat. Zahlreiche Diagnosen stimmen darin
+berein, da unter den gegenwrtigen Bedingungen des abwesenden Vaters
+ein groer Teil der psychischen Energien an prdipale Objekte
+gebunden bleibt, so da fr den Aufbau und die Besetzung reifer Ich-
+und ber-Ich-Strukturen nur ein vermindertes Quantum zur Verfgung
+steht. Die Folge ist, da die frhkindliche Entwicklung gar nicht mehr
+bis zum entscheidenden dipalen Konflikt gelangt, was wiederum
+zugleich bedeutet, da die prdipalen, archaischen Anteile des ber-
+Ichs gegenber den dipalen ein bergewicht erlangen.
+
+ "So haben wir heute das folgende Problem: die hemmende, kontrollierende und leitende Funktion des berichs, die heute
+weitgehend mit der des Ichs zusammenfllt, ist durch die Schwche der Eltern, die nachgiebige Erziehung und das
+gesellschaftliche Klima abgeschwcht. Die sexuellen und aggressiven Triebe halten sich immer weniger an Regeln. Aber wir haben
+immer noch das strengere berich aus der frhen Kindheit, das in der Tiefe des Individuums fortlebt. Daraus resultieren Unruhe,
+Unbehagen, depressive Verstimmungen und Sucht nach Ersatzbefriedigungen"10.
+AAF
+ Auch fr die Psyche gilt damit, was wir bereits fr die
+soziogenetische Ebene festgestellt haben: da Vergesellschaftung unter
+Marktbedingungen ein hchst paradoxer Vorgang ist. Verglichen mit
+Freuds Zeiten ist das Netz des Sozialen engmaschiger und strker
+geworden und hat lngst auch den privaten Schonraum der Familie
+erfat, in dem Elias noch eine Enklave des gesellschaftlich nicht
+Geformten sah (I, 226f., 247, 259). Diese Expansion des Sozialen aber
+geht keineswegs einher mit einer kontinuierlich zunehmenden
+'Individualisierung' oder gar 'Massenindividualisierung' (1987, 273,
+242), sondern macht Individuierung zu einer immer schwerer zu
+bewltigenden Aufgabe. Durch den Fortfall jener Faktoren, die in der
+brgerlichen Familie eine sukzessive Einschrnkung und Frustrierung
+der archaischen Wnsche und Phantasien durchsetzten, wird die Macht
+des Unbewuten gestrkt; damit aber die Macht einer Instanz, die, im
+Gegensatz zu den Annahmen eines C.G. Jung, keine hhere Kollektivitt
+verkrpert, sondern deren Negation: die aus der gesellschaftlichen
+Kommunikation ausgeschlossene private Symbolwelt der von ihren
+prdipalen Objekten beherrschten Individuen (vgl. Lorenzer 1970, 92,
+97). Zivilisation, die einmal aus der Domestizierung des Archaischen
+entsprang, schlgt damit in ihr Gegenteil um: in die Wiedererzeugung
+des Archaischen "in der Zivilisation durch die Zivilisation selbst"
+ (Adorno 1971, 42). Es spricht gegen die Zivilisationstheorie von
+Elias, da sie noch nicht einmal die Mglichkeit einer derartigen
+Entwicklung errtert11.
+
+
+
+ 3. Der letzte hier zu diskutierende Einwand stammt aus der
+Systemtheorie und besagt, da Elias dem Unterschied zwischen
+Interaktions-, Organisations- und Gesellschaftssystemen nicht gengend
+Rechnung trgt. Interaktionssysteme sind, nach der Definition
+Luhmanns, dadurch bestimmt, da Anwesende sich wechselseitig
+wahrnehmen und auf dieser Grundlage miteinander kommunizieren. Wegen
+dieser Bindung an die konkrete Prsenz von Personen knnen sie weder
+in ihren internen noch in ihren externen Beziehungen sonderlich hohe
+Komplexitt erreichen, eine Beschrnkung, die noch dadurch verstrkt
+wird, da die Erfordernisse der thematischen Konzentration und der
+linearen Sequenz der Beitrge sehr zeitraubend sind. -
+Organisationssysteme ermglichen dagegen eine hhere sachliche und
+zeitliche Generalisierung, weil sie auf Mitgliedschaftsregeln
+aufbauen. Auf der Basis solcher Regeln ist es mglich, hochgradig
+knstliche Verhaltensweisen dauerhaft zu reproduzieren, die sich durch
+ein hohes Ma an Motivgeneralisierung und Verhaltensspezifikation
+auszeichnen. - Der Begriff des Gesellschaftssystems schlielich zielt
+auf die umfassendste Form von Kommunikation: das Sozialsystem par
+excellence, das als Bedingung aller anderen sozialen Systeme fungiert
+(damit auch aller Interaktions- und Organisationssysteme). Es ist
+nicht einfach die Summe aller Organisationen und Interaktionen,
+sondern ein System hherer Ordnung. Es schliet neben Interaktionen
+auch interaktionsfreie Handlungen wie z.B. schriftliche Kommunikation
+ein, grenzt das Soziale vom Nichtsozialen ab und ermglicht die
+Ausdifferenzierung von Subsystemen, die auf bestimmte, nur ihnen
+zurechenbare Funktionen spezialisiert sind (Luhmann 1974, 143; 1982,
+11f.).
+
+ Mit dieser Unterscheidung verbindet Luhmann eine evolutionre
+Perspektive. Obwohl keine Gesellschaft jemals ganz in Interaktionen
+aufgeht, gilt doch fr archaische Gesellschaften, in denen die
+Funktionsdifferenzierung nur wenig entwickelt ist, da sie
+interaktionsnah gebildet werden (Luhmann 1985, 576). Auch in den
+vormodernen Hochkulturen spielen Interaktionssysteme noch eine
+fhrende Rolle, wenngleich wichtige Funktionen bereits durch
+Organisationen erledigt werden: das Prinzip der Stratifikation, nach
+dem diese Gesellschaften gegliedert sind, hat zur Folge, da die
+Gesellschaft als Ganze durch das Kontaktnetz der Oberschicht
+reprsentiert und symbolisiert wird. Oberschichteninteraktion kann
+deshalb als Integrationmodus stratifizierter Gesellschaften angesehen
+werden (Luhmann 1980, 84).
+
+ In der modernen Gesellschaft dagegen, die auf voll durchgefhrter
+funktionaler Differenzierung beruht, kommt dem Interaktionssystem
+keine integrative Aufgabe mehr zu. Wohl bleibt Interaktion eine
+Basisbedingung von Gesellschaft, die sich ja schlielich durch
+soziales Handeln konstituiert. Doch ist die Gesellschaft mit der
+Delegation grundlegender Funktionen an Subsysteme, mit der Entstehung
+ausgedehnter Organisationssysteme und nicht zuletzt mit der
+Erweiterung zur Weltgesellschaft so komplex und berpersnlich
+geworden, da sie sich durch Interaktion nicht mehr reprsentieren,
+geschweige denn bewltigen lt.
+
+ "Die Gesellschaft ist, obwohl weitgehend aus Interaktionen bestehend, fr Interaktion unzugnglich geworden. Keine
+Interaktion, wie immer hochgestellt die beteiligten Personen sein mgen, kann in Anspruch nehmen, reprsentativ zu sein fr
+Gesellschaft. Es gibt infolgedessen keine 'gute Gesellschaft' mehr. Die in der Interaktion zugnglichen Erfahrungsrume vermitteln
+nicht mehr das gesellschaftlich notwendige Wissen, sie fhren wohlmglich systematisch in die Irre. Auch die Interaktionsfelder, die
+sich unter irgendwelchen Gesichtspunkten zusammenfgen und aggregieren lassen, lenken die Aufmerksamkeit uerstenfalls auf
+Funktionssysteme, vielleicht auch auf regionale Abgrenzungen (Nationen), nicht aber auf das umfassende System
+gesellschaftlicher Kommunikation" (Luhmann 1985, 585).
+AAF
+ Im gleichen Mae, wie die Interaktion an gesamtgesellschaftlicher
+Relevanz verliert, schiebt sich die Organisation in den Vordergrund.
+Dieselben Prozesse, die zur Auseinanderziehung der Systemebenen von
+Gesellschaft und Interaktion fhren - die Ausdifferenzierung und
+durchgehende Monetarisierung der Gesellschaft, die Verrechtlichung der
+Erhaltungs- und Fortsetzungsbedingungen tglicher Lebensfhrung, die
+wachsende Bedeutung von Schulerziehung und Berufswahl fr die
+individuelle Biographie (Luhmann 1981, 360f.) - begnstigen nach
+Luhmann eine massenhaft-spontane 'Autokatalyse' von Organisationen und
+eine entsprechende Verallgemeinerung der diesem Systemtypus eigenen
+Besonderheiten: der Engfhrung von Kommunikation auf Entscheidungen
+und Verknpfungen von Entscheidungen; der Bindung an Weisungsketten,
+mterhierarchien und Kontrollmechanismen; der Unterwerfung unter
+programmierte Ziele und Strategien; der Entlastung von moralischen
+Erwgungen und gesamtgesellschaftlichen Reflexionen.
+
+ Allerdings bedeutet diese unbestreitbare Expansion von
+Organisationen und organisationsspezifischen Verhaltensmustern nicht,
+da sich die Gesellschaft in ein einheitliches Organisationssystem
+verwandelt. Die Gesellschaft konstituiert sich heute als
+Weltgesellschaft und bersteigt schon allein dadurch den Horizont des
+Organisierbaren. Auch innerhalb der einzelnen Funktionsbereiche ist
+die Komplexitt so sehr angewachsen, da die Aufgaben der Wirtschaft
+oder der Erziehung durch eine einzige Organisation nicht bewltigt
+werden knnten. Selbst wenn es z.B. gelnge, Produktionsorganisationen
+durch eine weltweite Planung zu integrieren, knnten gleichwohl
+Produktions- und Konsumentscheidungen nicht zu einer einzigen
+Organisation zusammengeschlossen werden (Luhmann 1982, 15).
+Organisierte Sozialsysteme mgen der Rahmen sein, in dem sich ein
+groer, wenn nicht der grte Teil des sozialen Alltagshandelns
+vollzieht. Zu einer Megaorganisation, in der die Unterscheidung von
+Gesellschaftssystem und Organisationssystem hinfllig wrde, fgen sie
+sich nicht.
+
+ Im Lichte dieser Unterscheidungen liegt der Grundmangel der
+Zivilisationstheorie in der Totalisierung von Verhaltensformen, die
+fr Interaktionssysteme typisch sind. Diese Totalisierung ist
+historisch gesehen nicht vllig falsch. Sie kann sich darauf berufen,
+da unter den Bedingungen stratifikatorischer Differenzierung in der
+Tat ein spezifisches Interaktionssystem - der Hof -
+Integrationsaufgaben erfllte und insofern von
+gesamtgesellschaftlicher Relevanz war. Elias beschrnkt die Gltigkeit
+der Zivilisationstheorie jedoch ausdrcklich nicht auf diese Phase,
+sondern fat auch die der funktionalen Differenzierung und den
+organisierten Sozialsystemen gemen neuen Verhaltensmuster als
+Manifestation des Zivilisierungsprozesses auf, obgleich er sehr wohl
+einrumt, da das Schema der nichthfischen mittelstndischen
+Zivilisationslinie von dem der hfischen verschieden ist, und obgleich
+er erkennt, da die 'guten Gesellschaften', die nach der hfischen
+ kommen, "nicht mehr im entferntesten die gleiche formgebende Kraft"
+haben (II, 416; 1975, 144f., 172ff.). Der Proze der Zivilisation,
+lautet eine mehrfach wiederholte Kernthese, vollzieht sich "ohne
+Bruch", "in einer immer intensiveren Ausbreitungsbewegung", die mit
+der Bildung eines hfischen Sozialcharakters beginnt und - vorerst -
+mit einem von diesem abgeleiteten Nationalcharakter endet (I, 43f.).
+
+ Die Behauptung aber, da die "hfisch-aristokratische
+Menschenmodellierung (...) in dieser oder jener Form in die
+berufsbrgerliche ein(mndet) und (...) in ihr aufgehoben
+weitergetragen (wird)" (II, 418), wird der im Begriff der 'Aufhebung'
+liegenden Dialektik nicht gerecht. Gewi gibt es eine Aufhebung im
+Sinne des Bewahrens und Fortfhrens, die sich in der bernahme
+bestimmter Mechanismen der Selbstkontrolle (Langsicht,
+Affektbeherrschung) oder in Erscheinungen wie der 'Demokratisierung
+der Literalitt' (Goody/Watt) zeigt. Aufhebung aber meint auch stets -
+und in diesem Falle mehr als alles andere - Negation, Auer-Geltung-
+Setzen, Beenden. So hat die Demokratisierung der Literalitt, wie
+Goody und Watt gezeigt haben, durchaus nicht nur zu einer kollektiven
+Aneignung des kulturellen Erbes gefhrt, sondern auch dessen
+Verbindlichkeit aufgelst und dessen Homogenitt zerstrt12, und so
+resultiert denn auch die Aufhebung des Privilegs nicht in der
+Verallgemeinerung der in der Oberschicht geltenden Codes, sondern
+allenfalls in deren Musealisierung.
+
+ Luhmann zufolge ist diese Entwicklung unausweichlich, denn erstens
+verliert die Oberschichteninteraktion mit zunehmender
+Ausdifferenzierung von Subsystemen ihren Reprsentationscharakter -
+das Ganze lt sich durch keinen Teil mehr darstellen, sondern ist nur
+noch in den Teilen selbst prsent; und zweitens geht durch die
+Radikalisierung der Funktionsdifferenzierung die Conditio sine qua non
+hfischer Interaktion verloren: die Verfgung ber ein ausreichendes
+Quantum nichtfunktionsbezogener Zeit, alteuropisch ausgedrckt: Mue.
+Nur eine Schicht, die ihr gesamtes Dasein 'mig' verbrachte, d.h.
+nicht primr in den Aufgaben der Produktion und Reproduktion des
+unmittelbaren Lebens aufging, konnte jene gesteigerte Fhigkeit zur
+Wahrnehmung des eigenen und des fremden Selbst ausbilden, von der das
+Leben bei Hofe abhing; nur eine Schicht, die auf Reprsentation des
+Ganzen spezialisiert war, konnte sich auf die Stilisierung der
+Umgangsformen, auf die Produktion und Interpretation jener Zeichen
+konzentrieren, in denen sich Rang und Ehre, Achtung oder Miachtung
+dokumentierten. Wenn Zivilisation darin besteht, da man dem Umweg vor
+der Abkrzung, der indirekten Aktion vor der direkten den Vorzug gibt,
+so setzt sie eine Ordnung voraus, die wenigstens ber ein Gut im
+berflu verfgt: Zeit.
+
+ Organisierte Sozialsysteme indes, wie sie in der
+berufsbrgerlichen Gesellschaft dominieren, beruhen auf der
+systematischen Verknappung von Zeit. In ihnen geht es, wie man nicht
+nachdrcklich genug hervorheben kann, um Zeitgewinn und um die damit
+verbundenen Konkurrenzvorteile gegenber anderen Organisationen: daher
+die Verkrzung und Kanalisierung der Kommunikation, die simultane
+Erledigung von Aufgaben durch Arbeitsteilung, die Entlastung der
+Operationen von der zeitraubenden Notwendigkeit, fr jeden Einzelfall
+natrlich gewachsene Motive oder moralischen Konsens zu beschaffen13.
+Es ist klar, da nur eine derartige konomisierung der Zeit die
+Organisationen in die Lage versetzt, die Flle der ins Unendliche
+gestiegenen Anforderungen zu bewltigen. Ebenso klar ist aber, da die
+ 'Temporalisierung von Komplexitt' nur im Gegenzug gegen die fr die
+traditionellen Oberschichten typischen Formen der Zeitverwendung
+durchgesetzt werden kann - und damit auch im Gegenzug gegen die
+civilisation. Wo die Knappheit der Zeit und die Vordringlichkeit des
+Befristeten (Luhmann) regiert, wird Achtungskommunikation alten Stils
+zum Luxus, der nur noch auerhalb der organisierten Sozialsysteme (und
+hier oft noch nicht einmal gegen Geld) zu haben ist. Gepflegte
+Geselligkeit und galante Konversation, Zivilisierung der Gesten und
+der Sprache, Takt und Respekt, alle diese Formen erweisen sich heute
+als Oberschichtenphnomene, die "nach der Auflsung der
+stratifizierten Gesellschaftsordnung jedenfalls nicht als
+Kultiviertheitserwartung fortgesetzt werden"14.
+
+ Nicht da sie vllig verschwnden. Distinktionsstrategien spielen
+auch heute noch eine wichtige Rolle im gesellschaftlichen Leben, vom
+ehemaligen Adel ber die Bildungseliten bis hinab zur Unterwelt
+(Girtler 1989). Aber der ubiquitre Zeitdruck erzwingt doch eine so
+unbersehbare Reduktion und Minimierung aller Schnrkel und Floskeln,
+eine solche Raffung aller umstndlichen Vermittlungen, da sich der
+inter- und intraorganisatorische Kommunikationsstil mehr und mehr
+jener zeitgenssischen Architektur angleicht, die das Ornament zum
+Verbrechen erklrte (A.Loos). Zeitkonomie und Zivilisation schlieen
+einander aus. Wer diesen Gegensatz verleugnet und auch fr die
+Gegenwart noch am Zivilisationsbegriff festhalten will, mu daraus
+alle Inhalte tilgen, die einmal mit Zivilisiertheit verbunden waren.
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+Anhngern nicht gnzlich entgangen. Besonders Cas Wouters hat sich
+ihnen gestellt und einen Trend zur Informalisierung diagnostiziert,
+den er auf Vernderungen in der Machtbalance zwischen den sozialen
+Klassen, den Generationen und den Geschlechtern zurckfhrt (Wouters
+1979; 1986). Elias hat dann diese Diagnose aufgegriffen und alle
+Versuche abgewiesen, daraus eine Falsifizierung der
+Zivilisationstheorie ablesen zu wollen. Die Informalisierung, so seine
+These, sei im Gegenteil ein Beleg fr die Intensivierung des
+Zivilisationsprozesses, weil sie mit einer "Zunahme des
+gesellschaftlichen Drucks zur Selbstregulierung" einhergehe (Elias
+1989, 60). Dem ist zweierlei entgegenzuhalten. Elias und Wouters haben
+sicher recht, wenn sie in der Informalisierung nicht einfach einen
+Rckfall in Chaos und Regellosigkeit sehen wollen. Selbstverstndlich
+ist die moderne Gesellschaft, bei aller Lockerung von Konventionen und
+Standards, durch ein sehr hohes Ma an Regulierung gekennzeichnet.
+Nur: diese Regulierung ist ein Effekt der organisierten Sozialsysteme,
+die strukturell in keinerlei Beziehungen zu den Interaktionssystemen
+der hfischen Gesellschaft stehen. Der in ihnen endemische
+Rationalisierungszwang drfte weit mehr als alle Vernderungen in den
+Machtbalancen zwischen verschiedenen sozialen Gruppen dazu beigetragen
+haben, da die berkommenen Interaktionsrituale nach und nach ber
+Bord geworfen wurden. Zweitens aber kann die Informalisierung auch
+deswegen keine Intensivierung des Zivilisationsprozesses sein, weil
+ die partielle Entstrukturierung der ueren Beziehungen mitnichten
+durch Strukturgewinne im Innern der Subjekte kompensiert wird. Die
+"vorzeitige" Sozialisation, so haben wir im vorigen Abschnitt gesehen,
+fhrt gerade nicht auf eine "hhere Ebene des Bewutseins und
+wahrscheinlich auch eine hhere Ebene der Selbststeuerung" (Wouters
+1979, 294), sondern zu einer Schwchung des Ichs und einer
+Entstrukturierung des ber-Ichs. Weit davon entfernt, ber die von den
+Zivilisationstheoretikern supponierte Souvernitt zu verfgen, die es
+ihm erlaubte, rigide Kontrollen in bestimmte Bereiche zu lockern,
+scheint das Subjekt eher zum Zerfall zu tendieren: zur Spaltung in ein
+uneigentliches Selbst, das sich den externen Funktionsimperativen der
+organisierten Sozialsysteme anpat, und in ein eigentliches Selbst,
+das sich in den Intermundien dieser Systeme entfaltet und berall
+dort, wo es auf keine Schranken mehr stt, den Impulsen seiner
+jeweiligen emotionalen Befindlichkeit folgt (Gerhards 1988, 237f.).
+Wie dnn dabei die Linie ist, die die psychische von der physischen
+Inkontinenz trennt, wei jeder, der die ffentlichen Verkehrsmittel in
+Grostdten benutzt.
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+eine hfische Zivilisation im Abendland gab und da Norbert Elias ihr
+Theoretiker ist. Ich bezweifle auch nicht, da diese hfische
+Zivilisation in einigen Lndern wie Frankreich auf die aufsteigenden
+brgerlichen Schichten abgefrbt und deren nationalen Habitus geprgt
+hat, wiewohl man hinzufgen sollte, da dies historisch gesehen eher
+die Ausnahme als die Regel war. Das Brgertum ist eine sehr
+abendlndische Erscheinung, und selbst innerhalb des Abendlandes gibt
+es zahlreiche Flle, in denen es sich dem Einflu des Hofes entzog.
+Der Hoffnung des Liberalismus, die Brger mchten sich die Manieren
+der guten Gesellschaft aneignen, whrend die 'historischen Klassen' im
+Verdienen tchtiger werden sollten, hielt schon Karl Kraus entgegen,
+da "aller Wahrscheinlichkeit nach schlielich die historischen
+Klassen ohne irdische Gter und mit schlechten Manieren, die
+vordringenden Schichten aber mit zweifachem Besitzstand die
+Gesellschaft reprsentieren werden" (Kraus 1916, 7). Schlielich ist
+auch unbestritten, da es in der Neuzeit eine weitausgreifende
+Affektmodellierung gegeben hat, in die immer weitere Schichten
+einbezogen wurden.
+
+
+"evolutionr wirkende Kontinuitt des Zivilisationsbegriffs" behauptet
+und die Geschichte der hfischen Affektmodellierung zur "Vorgeschichte
+der Modernisierung", gar zur "Vorgeschichte des modernen
+Sozialcharakters" erklrt (Kuzmics 1989, 82, 89f.). Eine derart
+notwendige Beziehung, wie sie hier unterstellt wird, existiert nicht.
+Es gibt sie historisch nicht, weil die Geschichte zahlreiche hfische
+Gesellschaften kennt, die sich nicht zu berufsbrgerlichen
+Gesellschaften entwickelt, sondern stattdessen in
+Kriegergesellschaften zurckverwandelt haben - Japan nach der Heian-
+ra ist hierfr vielleicht das beste Beispiel; der eigentliche
+ Durchbruch zur berufsbrgerlichen Gesellschaft erfolgte dagegen in
+Lndern, in denen nach Elias' eigener Einsicht der Hof nur eine
+geringe oder gar keine Rolle spielte - England und den USA (1975, 104,
+147f.). Es gibt eine solche notwendige Beziehung aber auch nicht im
+logisch-strukturellen Sinne, weil zwischen der Affektmodellierung, wie
+sie fr Interaktionssysteme typisch ist, und derjenigen, wie sie
+Organisationssysteme fordern, ein Hiatus klafft. Mit Robert Muchembled
+ist davon auszugehen, da die fr die hfische Welt typische
+Verfeinerung der Sitten vor allem die Funktion einer Abgrenzung und
+Distanzierung der Oberschichtenkommunikation von anderen
+Kommunikationsformen hatte und Muster entwickelte, die sich nur um den
+Preis des Lcherlichen, Parvenuhaften von anderen Schichten kopieren
+lieen - schon deshalb, weil keine dieser Schichten ber den
+erforderlichen Abstand zur Welt des Geldes und des 'Berufs' verfgte.
+Der Zwang zur Langsicht, die Schemata der Verhaltensregulierung und -
+kontrolle, die fr diese Schichten mageblich sind, resultieren aus
+den Zwngen dieser Welt, nicht aus den Vorgaben der
+Oberschichtenkommunikation; Zivilisierung ist keine Bewegung von oben
+nach unten, die immer noch andauert, sondern eine Bewegung, die die
+Kluft zwischen oben und unten zu zementieren trachtet:
+
+
+Mechanismus zur Nivellierung der Unterschiede. Er bringt im Gegenteil verschiedenartige Wesen hervor, die auf verschiedenen
+Stufen der soziokulturellen Hierarchie angesiedelt sind. Diese Menschen - das gilt selbst noch fr das Ende des Ancien Rgime - sind
+durchaus nicht aus einem Stck gemacht, sondern fgen sich in Gesellschaftsschichten ein, die unterschiedliche Verhaltensstrnge
+und gegenstzliche konomische Entwicklungen beerben. Mit anderen Worten, nichts wre verfehlter, als die Entwicklung der
+Mentalitten vom ausgehenden Mittelalter bis zur Revolution als eine Art unbestimmten Gesamtfortschritt darzustellen, dem sich die
+einzelnen Gruppen dann mehr oder weniger vollkommen anpaten" (Muchembled 1990, 184).
+
+
+Rhythmus durch die Ausdifferenzierung neuer, eigengesetzlicher
+Funktionssysteme und Organisationen bestimmt wird. Jeder dieser Schbe
+ist, psychogenetisch gesehen, mit einer Schwchung, wenn nicht sogar
+mit einem Abbau der bis dahin dominierenden Instanzen verbunden. Das
+brgerliche Ich ist, als psychische Instanz, schwcher als das
+hfische, weil es nicht nur mit dem Es und der Auenwelt, sondern auch
+mit einem ber-Ich zu rechnen hat, das vom Individuum eine
+Staatsfrmigkeit seiner Gesinnungen, nicht blo seiner ueren
+Handlungen verlangt (Vowinckel 1983, 150). Das nachbrgerliche Ich ist
+noch schwcher, weil es nicht mehr auf dem Weg einer Identifikation
+mit dem Aggressor - dem dipalen ber-Ich -Strke gewinnen kann,
+vielmehr schutzlos und unvermittelt der Gewalt prdipaler,
+archaischer Konfigurationen ausgeliefert ist, die den Anspruch auf
+Grandiositt und Omnipotenz erheben. Mit jedem neuen Schub in der
+Entwicklung der Sozialkontrolle erhlt somit das Ich neue und stets
+mchtigere Gegner, die seine Souvernitt fortwhrend einschrnken -
+und damit seine Fhigkeit zu dem, was Elias mit Recht als
+Wesensmerkmale des zivilisierten Habitus herausstellt: Selbstdistanz,
+Selbstkontrolle, Takt, 'taking the role of the other', das Spiel mit
+dem Schein und nicht zuletzt auch die Technik der Simulation, die dem
+protestantischen Kleinbrger als Unaufrichtigkeit erscheinen mag, in
+Wirklichkeit aber die Fhigkeit bedeutet, die anderen mit der Last des
+eigenen Selbst zu verschonen (Sennett 1983, 299).
+
+
+der Zivilisation. Sie verallgemeinert keineswegs die Formen, die in
+der hfischen Zivilisation auf einen kleinen Kreis von Privilegierten
+beschrnkt waren, sondern beseitigt mit dem Privileg auch diese
+ Formen. Sie fhrt nicht zu einer Anverwandlung der bisher
+Ausgeschlossenen an die Ausschlieenden, sondern umgekehrt zum
+Vordringen des aus der Zivilisation Ausgeschlossenen. Seit dem 18. Jh.
+ist die vorherrschende Tendenz in der Politik wie in der Kunst eine
+nicht abreiende Kette von Demaskierungen, Entlarvungen und
+Enthllungen, in der eine Konvention und Tradition nach der anderen
+demontiert wird und immer neue Schichten des Verdrngten ans Licht
+gezogen werden; und wenn es eine Zeitlang so schien, als knnte mit
+der Ausweitung des ffentlichen Erziehungswesens ein Gegengewicht
+geschaffen werden, so ist dieses mittlerweile so stark segmentiert und
+mit anderen Aufgaben berfrachtet, da selbst der amerikanische
+Prsident sich alarmiert zeigt. Die sprachlichen Ausdrucksformen der
+Unterschichten, insbesondere die Koppelung von Sexualitt und Gewalt,
+sind lngst gesellschaftsfhig geworden und machen, wie ein Blick in
+den 'Anti-dipus' zeigt, selbst vor dem wissenschaftlichen Diskurs
+nicht mehr halt; die Distanzierung vom Krper, die diesen zum Medium
+der Demonstration festgefgter Konventionen machte, ist einer
+aufdringlichen Thematisierung desselben gewichen, bei der der Krper
+zwar mit Signalen berladen und - wie in der Punk-Bewegung - in
+extremer Weise stilisiert wird, jedoch nichts reprsentiert und nichts
+mehr mitzuteilen hat (Bette 1987; Georgieff 1987); und wer gezwungen
+ist, sich am Straenverkehr zu beteiligen, wird rasch feststellen
+mssen, da auch die Survival-Mentalitt der Unterschichten sich
+allgemeiner Anerkennung erfreut. Elias pflegt in seinen letzten
+Arbeiten hufig auf die sinkenden Unfallziffern zu verweisen, um seine
+These vom gestiegenen Selbstzwang zu erlutern (1978, 22). Doch fnf
+Minuten auf der Autobahn sollten eigentlich gengen, um sich davon zu
+berzeugen, da hier nicht die Zivilisation herrscht, sondern das
+Gesetz des Dschungels. Nicht da dort jeder Mensch jedem Menschen ein
+Wolf wre, das hatte schon Hobbes mit seinem bekannten Diktum nicht
+gemeint. Es gibt auch heute unendlich viele Beispiele von
+Zuvorkommenheit und Hilfsbereitschaft. Aber eine Welt, in der man bei
+jedem Streit um eine Parklcke, bei jeder Beschwerde ber zu lauten
+Partylrm damit rechnen mu, erschossen, erstochen oder
+zusammengeschlagen zu werden, ist von der Zivilisation noch immer
+genau so weit entfernt wie der von Hobbes beschriebene Kriegszustand,
+"which is worst of all, continual fear, and danger of violent death;
+and the life of man, solitary, poor, nasty, brutish, and short"15.
+
+
+Leitbegriff der Zivilisationstheorie zu revidieren. Anstatt in ihm
+nach dem Vorbild der franzsischen Aufklrung zwei nur zufllig-
+historisch verbundene Komplexe zusammenzuzwingen - die hfischen
+Interaktionsregeln und die Rationalittsstrukturen organisierter
+Sozialsysteme - sollte man ihn wieder enger fassen und seiner
+geschichtsphilosophischen Konnotationen entkleiden. Vielleicht hatte
+Kant doch recht, als er vorschlug, den Zivilisationsbegriff auf
+"Manieren, Artigkeit und eine gewisse Klugheit" zu beschrnken,
+vermittels welcher der Mensch 'gesellschaftsfhig' werde - womit er
+natrlich die 'gute Gesellschaft' meinte (Kant 1968, XII, 707). Eine
+solche Eingrenzung htte jedenfalls den Vorzug, da sie uns deutlicher
+als Elias die Vergnglichkeit der Bedingungen vor Augen fhrte, an die
+Zivilisation nun einmal gebunden ist, und sie knnte es vielleicht
+ermglichen, die Theorie der Zivilisierung durch die lngst
+berfllige Theorie der Entzivilisierung zu ergnzen.
+
+
+keine Rcksicht halten, auch als bloe Spiel-Form nicht. - Und ebenso schrumpft in einer Welt, die uns um Mue und die anderen
+ Bedingungen des Privaten betrgt, die Subtilitt unseres seelischen Privatlebens" (Anders 1986, 13).
+
+
+ 
+
+
+
+
+
+
+
+Zivilisation, so wre dazu kaum etwas geeigneter als das Konzept der
+Disziplinargesellschaft, das Michel Foucault in den siebziger Jahren
+entwickelt hat. Gewi ist der Gegensatz nicht absolut. Beide Autoren
+interessieren sich fr Prozesse der Normierung und Regulierung, beide
+sehen eine enge Beziehung zwischen Individuierung und Subjektivierung
+einerseits, sich verdichtenden Machtverhltnissen andererseits.
+Foucault bezieht diese Entwicklungen jedoch nicht wie Elias auf ein
+Zentrum, und er sieht sie auch nicht aus der Perspektive eines
+zunehmenden Souvernittsgewinns der (Welt-) Gesellschaft und des
+einzelnen. Die moderne Gesellschaft gilt ihm als polyzentrisches
+Geflecht von Disziplinarapparaten und die Individuierung als
+Manifestation der Macht. Anstelle der Vision einer friedlichen
+Kooperation steht bei ihm die eines 'verallgemeinerten Krieges' (1978,
+40)16 , anstelle der Aufhebung willkrlicher Macht deren Verfestigung
+zu 'Herrschaftszustnden' (1985, 11). "Die Menschheit", so Foucaults
+nietzscheanisches Credo, "schreitet nicht langsam von Kampf zu Kampf
+bis zu einer universellen Gegenseitigkeit fort, worin die Regeln sich
+fr immer dem Krieg substituieren; sie verankert alle ihre
+Gewaltsamkeiten in Regelsystemen und bewegt sich von Herrschaft zu
+Herrschaft" (1974, 95).
+
+
+nicht mehr zu berblicken. Vieles davon ist Einfhrung oder Paraphrase
+und wird so schnell vergessen werden, wie es geschrieben wurde17 .
+Doch hat Foucault inzwischen auch ernstzunehmende Gesprchspartner
+gefunden, die so schwerwiegende Einwnde gegen seinen Entwurf
+formuliert haben, da sich dessen einfache Fortschreibung oder
+Kanonisierung verbietet. Ich werde zunchst Foucaults Grundgedanken
+knapp skizzieren, danach die wichtigsten Gegenargumente prsentieren
+und anschlieend errtern, inwieweit die Theorie der
+Disziplinargesellschaft noch zu halten ist.
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+Genealogie der Disziplin religisen Faktoren ein erhebliches Gewicht
+zu. Schon der vorchristliche, vor allem aber der christliche Orient
+habe einen spezifischen, pastoralen Machttypus entworfen, dessen Pole
+die Herde und der dieselbe zusammenhaltende Hirt oder Schfer seien;
+diese Pastoralmacht habe sich dann vom 2. Jh. an ununterbrochen
+verfeinert und sich mit der politischen Macht assoziiert, wodurch zwei
+verschiedene Machttechniken miteinander verbunden worden seien: das
+kirchliche Gestndnis- und Beichtritual und die Formulierung und
+Vollstreckung des Gesetzes (1982, 17ff.). Aus dieser Kombination, die
+ zum erstenmal im Inquisitionsproze praktische Gestalt angenommen
+habe, sei jene doppelte Bedeutung von 'Subjektivierung' entsprungen,
+die seither das Abendland bestimmt habe: Subjektivierung im Sinne
+einer Unterwerfung unter Kontrolle und Abhngigkeit und
+Subjektivierung im Sinne einer Bindung an die eigene Identitt qua
+Bewutsein und Selbsterkenntnis (1987, 247f.)
+
+
+nur geringe Aufmerksamkeit. Weitaus intensiver befat er sich dagegen
+mit dem eigentlichen Formierungsstadium, das er auf das 17. und 18.
+Jh. datiert. Zwar dominiert zu diesem Zeitpunkt mit der absoluten
+Monarchie noch eine Form der Macht, "die wesentlich an der Abschpfung
+und am Tode orientiert war" (1977, 110) - eine Form, die sich
+verfassungsrechtlich in der Souvernitt und der ihr
+korrespondierenden Gesetzgebungskompetenz manifestiert, und die
+strafrechtlich in den Riten und Marterzeremonien der
+'Abschreckungsmacht' erscheint. Zur gleichen Zeit aber bereitet sich
+gesamtgesellschaftlich ein Umbruch vor, in dessen Verlauf auch die
+Macht eine tiefgreifende Transformation erfhrt. Am Beispiel der
+buerlichen Delinquenz zeigt Foucault, da das klassische Zeitalter
+der Schauplatz neuer Formen der Gesetzwidrigkeit ist, die sich nicht
+mehr primr gegen die Rechte des Adels oder des Knigs richten,
+sondern gegen Gter; ein Wandel, mit dem die Bevlkerung auf neue
+Formen der Kapitalakkumulation, der Produktionsverhltnisse, der
+Aneignungsstrukturen reagiert. Mit dem Anwachsen kapitalistischer
+Produktionsapparate und dem demographischen Wachstumsschub des 18.
+Jhs. verbreitern und vervielfachen sich die Konfliktlinien und lassen
+dadurch die klassische, auf der Veranstaltung exemplarischer
+Straffeste beruhende Souvernitts- und Abschreckungsmacht zunehmend
+unwirksam werden (1976, 110, 280).
+
+
+engen Rahmen herauswchst, in den sie durch die Institutionen der
+Monarchie gebannt war, ist die Zeit, in der neue Verfahren und
+Mechanismen der Macht auf den Plan treten; Verfahren, "die nicht mit
+dem Recht, sondern mit der Technik arbeiten, nicht mit dem Gesetz,
+sondern mit der Normalisierung, nicht mit der Strafe, sondern mit der
+Kontrolle, und die sich auf Ebenen und in Formen vollziehen, die ber
+den Staat und seine Apparate hinausgehen" (1977, 110f.). Welche
+Verfahren sind hier gemeint?
+
+
+Ancien Rgime beginnen sich Forderungen der Aufklrer nach
+Humanisierung des Strafrechts und konomisierung der Strafgewalt in
+einer Reihe von Reformen geltend zu machen, die die Ersetzung der
+alten 'konomie der Verausgabung und des Exzesses' durch eine
+'konomie der Kontinuitt und der Dauer' ermglichen. Whrend die
+absolutistische Souvernitts-Macht mit ihrer Sprunghaftigkeit und
+Regellosigkeit sowie der Weitmaschigkeit ihres Kontrollnetzes den
+Gesetzwidrigkeiten der Untertanen weiten Raum lie, bemhen sich die
+Justizaufklrer darum, durch Milderung der Strafen, sorgfltigere
+Kodifizierung und Rationalisierung der Gewaltausbung die Basis fr
+einen neuen gesamtgesellschaftlichen Konsens hinsichtlich der
+Strafgewalt zu schaffen, um eine wirksamere Verteidigung gegen einen
+Gegner zu ermglichen, "der jetzt raffinierter, aber auch verbreiteter
+im gesellschaftlichen Krper ist". Indem sie die Willkr des Souverns
+anprangert, bereitet die Aufklrung zugleich den Boden fr ein neues,
+perfekteres System der sozialen Kontrolle. Richter und Anklger,
+ Verteidiger und Angeklagte werden in ein diskursives Gefge
+eingeschlossen, dessen Sinn nicht in der schreckenerregenden
+Wiederherstellung der Souvernitt, sondern in der
+Wiederinkraftsetzung des Strafgesetzbuches bestehen soll (1976, 113,
+141).
+
+
+Definition schuldig bleibt, meint im wesentlichen folgendes: Auf der
+einen Seite haben wir es mit einer Kodifizierung und Rationalisierung
+zu tun, die den Untertanen zweifellos neue Sicherheiten bringt. Die
+Macht wird an Regeln gebunden, das Individuum als Rechtssubjekt
+anerkannt, die Strafe in ein Mittel verwandelt, das die
+Rechtssubjektivitt wiederherstellen soll. Auf der anderen Seite aber
+wird gerade dadurch eine uerste Verfeinerung und Vervollkommnung der
+Unterwerfung ermglicht. Der Kodifizierung entspricht eine zunehmende
+Individualisierung der Strafen und eine Objektivierung von Verbrechen
+und Verbrecher. Das Rechtssubjekt wird Gegenstand einer
+klassifizierenden und vergegenstndlichenden Betrachtungsweise, die
+den einzelnen in ein komplexes Tableau justiziabler Eigenschaften und
+Tatbestnde einordnet. Er wird geprft, beurteilt, registriert, so da
+jede seiner Eigenschaften mittels einer Reihe von Codes und deren
+Korrelierung dokumentierbar wird. Durch die vielfltigen Praktiken der
+berwachung und Kontrolle, der Einstufung und der Zuordnung bildet
+sich, was Foucault als die andere, "dunkle" Seite des Rechtssubjekts
+bezeichnet: das "Disziplinarindividuum", das von den neuen
+Machttechniken fabriziert wird (1976, 396).
+
+
+Strafjustiz. Foucault sprt sie auf in der neuen Einstellung der
+Gesellschaft gegenber dem Wahnsinn, welcher ausgegrenzt, interniert
+und in eine Form der Geisteskrankheit verwandelt wird, mit der die
+Gesellschaft nur noch ber das abstrakte Medium der Psychiatrie
+kommuniziert. Er entdeckt sie in der explosionsartigen Vermehrung der
+Diskurse ber Sexualitt, die zur Bildung eines gigantischen Registers
+der Lste und Perversionen fhrt. Er lokalisiert sie im rztlichen
+Blick und in der wissenschaftlichen Kontrolle der Krankheiten und
+Infektionen, in der administrativen Kontrolle der Heilmittel, der
+Todesflle und Geburten, der Verstellungen und Abwesenheiten,
+schlielich in der militrischen Kontrolle der Deserteure, der
+fiskalischen Kontrolle der Waren, der konomischen Planung der
+Produktionsablufe. In allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens
+ist das klassische Zeitalter der Schauplatz einer unerhrten
+Verdichtung der Diskurse und Identifikationsmechanismen, die allesamt
+nur das eine Ziel haben: die Herstellung des durchschaubaren und damit
+kontrollierbaren Individuums. "Die 'Aufklrung', welche die Freiheiten
+entdeckt hat", schreibt Foucault, "hat auch die Disziplinen erfunden"
+(1976, 285).
+
+
+eng aufgefat werden. Sie darf, erstens, nicht allein auf die
+Implementierung eines bestimmten Diskurstyps reduziert werden, denn
+sie hat auch nicht-diskursive Wurzeln: Etwa die Mechanismen, die in
+den Klstern und Kasernen, Manufakturen und Spitlern, Kollegs und
+Internaten entwickelt wurden. Sie darf, zweitens, nicht als Effekt
+eines Zentrums, einer gesellschaftlichen Zentralinstanz oder einer
+herrschenden Klasse, begriffen werden, da hiermit ihre pluraler,
+multipler Charakter verfehlt wrde: die Disziplinargesellschaft ist
+nicht das Ergebnis einer, sondern zahlreicher Projektionen - der
+ Projektion militrischer Methoden auf die Industrie; der
+maschinenfrmigen Funktionsweise auf die lebendige Arbeit; der
+Gefngnisdisziplin auf die Gesellschaft (1976, 284). Und sie darf,
+drittens, auch nicht als bloes Verhltnis der Repression verstanden
+werden, wie dies in der Logik des brgerlichen Legalismus oder der
+marxistischen Auffassung liegt. Die Disziplinarmacht, sagt Foucault,
+setzt zwar Unterwerfung voraus, sie parzelliert die Individuen,
+klassifiziert sie und fgt sie in eine hierarchische Ordnung ein, die
+durch przise Befehlssysteme strukturiert ist. Sie erschpft sich
+jedoch nicht darin, sondern produziert ihrerseits Individuen, die der
+von ihr geschaffenen Ordnung gem sind. "Man mu aufhren, die
+Wirkungen der Macht immer negativ zu beschreiben, als ob sie nur
+'ausschlieen', 'unterdrcken', 'verdrngen', 'zensieren',
+'abstrahieren', 'maskieren', 'verschleiern' wrde. In Wirklichkeit ist
+die Macht produktiv; und sie produziert Gegenstandsbereiche und
+Wahrheitsrituale: das Individuum und seine Erkenntnis sind Ergebnisse
+dieser Produktion" (1976, 250).
+
+
+Macht in der modernen Form des Gefngnisses, wie sie seit 1830 unter
+dem Einflu von Benthams 'Panopticon' (1787) Gestalt gewinnt. Als eine
+Institution, deren Aufgabe sich keineswegs darauf beschrnkt, den
+Freiheitsentzug zu organisieren, vielmehr von Anfang an darin besteht,
+"Transformationen an den Individuen vorzunehmen" (1976, 317),
+verkrpert das Gefngnis gleichsam die Elementarform der
+Disziplinargesellschaft, hnlich wie fr Marx die Ware als
+Elementarform der brgerlichen Gesellschaft fungiert. Das Gefngnis
+ist zugleich Kaserne und Schule, Werkstatt und Spital; es unterdrckt
+die gesellschaftlich unerwnschten Eigenschaften und modelliert die
+erwnschten. Sein Produkt sind Individuen, "die nach den allgemeinen
+Normen einer industriellen Gesellschaft mechanisiert sind" (1976,
+310). Als ein vollkommener Disziplinarapparat erfat es smtliche
+Aspekte des Individuums: seine physische Erscheinung wie seine
+moralische Einstellung, seine Arbeitsneigung wie sein
+Alltagsverhalten; und alle diese Manifestationen werden nicht nur
+kontrolliert und reglementiert, sondern von Grund auf reformiert, bis
+sie den geltenden Standards entsprechen. Das 'Kerkersystem', das
+Foucault zufolge um 1840, dem Erffnungsjahr der Jugendstrafanstalt
+von Mettray, vollstndig ausgebildet ist, enthlt in gebndelter und
+konzentrierter Form all jene Mechanismen der Normalisierung und
+Disziplinierung, die seither zu Strukturmerkmalen der
+Disziplinargesellschaft geworden sind.
+
+
+Ausdehnung und Erweiterung: vom 'Kerker-System' der Gefngnisse und
+geschlossenen Anstalten zu dem, was Foucault den 'Kerker-Archipel'
+bzw. das 'groe Kerker-Kontinuum' nennt (1976, 382f.). Vermittelt ber
+zahlreiche Sttzpunkte - die Waisenhuser, die Asyle fr 'gefallene
+Mdchen', die Lehrlingsheime, die korrespondierenden Einrichtungen wie
+Wohlfahrtsgesellschaften, Sittlichkeitsvereine, Arbeitersiedlungen und
+ Wohnheime - breitet sich das panoptische Schema ber die gesamte
+Gesellschaft aus und berzieht alle sozialen Bereiche mit dem groen
+Kerker-Netz, dessen primre Funktion in einer alles umfassenden
+Normierung besteht. Dies sicher nicht ohne Widerstand. Wo Macht ist,
+sagt Foucault, ist auch Widerstand, und er fgt hinzu: wenn es
+Machtbeziehungen gibt, so berhaupt nur deshalb, weil es Freiheit
+gibt, (1977, 116; 1985, 2O). Aber dieser Widerstand ist keine Mauer,
+kein Block, der der Disziplinierung Grenzen setzt; er ist selbst eine
+ Manifestation von Macht, eine Art Antikrper, der die Disziplinarmacht
+attackiert und zu Mutationen und Metamorphosen ntigt. Um die
+Widerstnde zu berwinden, geht die Disziplin von dem starren,
+statischen Tableau des klassischen Zeitalters zu neuen, flexibleren
+Formen der Regulierung ber, deren Hauptziel in einer Steigerung der
+Funktionen liegt; und dieses Ziel wird zunehmend nicht nur mittels der
+rigiden Anpassung der Individuen an die Norm erreicht, sondern
+ebensosehr durch Anpassung der Norm an die individuellen Bedingungen
+durch die Verfahren der modernen Humanwissenschaften:
+
+
+Beziehungen ihre Vollendung: Diese verluft von der Teilung der Welt zur Herstellung der Welt; diese wiederum vom Traum einer
+mechanischen Imitation der Welt (durch Gesetze) zu dem einer Erzeugung von Organismen, von der Objektivierung der Welt auf
+die Individuierung der Menschen. Der Akzent der Individuierung selbst wird dabei von der objektivierenden Kontrolle der Einzelnen
+zur subjektivierenden Selbststeuerung und zur Manipulation von Gruppen verlagert. Der Vernderung der Gegenstandsbereiche
+entspricht die der Machttechniken, die Entwicklung von der Gewaltrationalitt zur Testwissenschaft" (Dauk 1989, 131).
+
+
+Subsumtion der Gesellschaft oder eines Teils derselben unter ein vorab
+feststehendes Schema, sondern weit eher der Zirkel von Manipulation
+und rckwirkendem Bedrfnis, wie ihn Horkheimer und Adorno in der
+'Dialektik der Aufklrung' entfalten. Foucault hat von der Dialektik,
+insbesondere von Hegel, nicht viel gehalten (Knzel 1985). Seine These
+indes, da in der Geschichte der Disziplinierung ein Wechsel von
+subsumtionslogischen Praktiken zu netzfrmigen und zirkulren
+Strukturen zu beobachten ist, vollzieht in etwas roheren Begriffen den
+bergang von der Transzendentalitt zur Totalitt, wie ihn Hegel
+gegenber Kant, wenn auch unter ganz anderen Voraussetzungen,
+vollzogen hat. Wie wir sehen werden, rhren die Schwchen der Theorie
+der Disziplinargesellschaft zu einem nicht geringen Teil aus der
+Weigerung Foucaults, daraus die ntigen kategorialen Konsequenzen zu
+ziehen.
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+hervorgerufen hat, empfiehlt es sich, noch fr einen Augenblick bei
+den Beziehungen zu verweilen, die sich zu hnlich gelagerten
+Bestrebungen in der modernen Soziologie ergeben. Foucaults Analyse
+erinnert an manchen Stellen an Max Weber, der in der Disziplin eine
+Schlsselkategorie der modernen Gesellschaft gesehen hatte - der
+brokratischen Amtsdisziplin, der Parteidisziplin, der Disziplin des
+Massenheeres, der Arbeitsdisziplin und nicht zuletzt der religisen
+Disziplin der 'methodischen Lebensfhrung'. Sie weist, etwa in der
+Behandlung der Manufaktur, Berhrungspunkte zu Marx auf, ferner zu
+Elias, zu Oestreichs Theorie der 'Sozialdisziplinierung' und nicht
+zuletzt zum kritischen Marxismus von Lukcs bis Adorno, dessen
+Zentralthema die Beziehung zwischen Warenform, Rationalisierung und
+Disziplinierung war18.
+
+
+teils schlicht aus Unkenntnis, wie er selbstkritisch mit Bezug auf die
+ Kritische Theorie gesteht (1983), teils in bewuter Abgrenzung von
+einer Diskurstradition, die ihm allzusehr von der Obsession einer
+'globalen Geschichte' geschlagen zu sein scheint, d.h. dem
+Unterfangen, den Gesamtzusammenhang einer Epoche oder einer
+Gesellschaft aus einer zentralen Struktur abzuleiten. Nach seiner
+berzeugung ist die Annahme, da sich innerhalb einer Gesellschaft ein
+System homogener Beziehungen feststellen lt, ein Netz von
+Kausalitten, das eine Zurckfhrung der verschiedenen Elemente auf
+ein verborgenes Zentrum gestatte, pure Ideologie, eine Illusion, in
+der sich der 'transzendentale Narzimus' des abendlndischen Denkens
+spiegelt: der Glaube an die Stifterfunktion eines souvernen Subjekts
+und an die Garantie, "da alles, was ihm entgangen ist, ihm
+wiedergegeben werden kann" (1973, 23). So stark ist Foucaults
+antithetische Fixierung auf diesen Subjektivismus, da er die
+Mglichkeit einer nichtsubjektivistischen, um eine Theorie der
+gesellschaftlichen Synthesis zentrierten 'globalen Geschichte', wie
+sie in den oben erwhnten Arbeiten durchaus angelegt ist, an keiner
+Stelle in Erwgung zieht.
+
+
+zu fllen. Macht, im Nietzscheschen Sinne eines lebensphilosophisch-
+ontologisch verstandenen 'Willens zur Macht', avanciert fr ihn zum
+Universalschlssel fr alle gesellschaftlichen und geistigen
+Phnomene. Auf ihr beruhen die Beziehungen zwischen den Geschlechtern
+ebenso wie die zwischen den Generationen, die Beziehungen innerhalb
+einer Institution wie die zwischen Institutionen im ganzen, die
+Beziehungen zwischen Individuen wie die zwischen Gruppen und Klassen.
+Das Individuum selbst ist, wie gezeigt, ein Produkt der Macht, "eine
+Form der Individuation der Disziplin" (1982, 3). Das gleiche gilt fr
+die modernen, um das Individuum zentrierten Diskurse der
+Humanwissenschaften, wie fr den wissenschaftlichen Diskurs
+schlechthin. Man msse, so verkndet Foucault, einer Denktradition
+entsagen, derzufolge es Wissen nur dort geben knne, wo die
+Machtverhltnisse suspendiert seien. "Eher ist wohl anzunehmen, da
+die Macht Wissen hervorbringt (und nicht blo frdert, anwendet,
+ausnutzt); da Macht und Wissen einander unmittelbar einschlieen; da
+es keine Machtbeziehungen gibt, ohne da sich ein entsprechendes
+Wissensfeld konstituiert, und kein Wissen, das nicht gleichzeitig
+Machtbeziehungen voraussetzt und konstituiert" (1976, 39). Wie in der
+idealistischen Philosophie und ihren sptromantischen Wurmfortstzen
+die ganze Welt als Geist oder Wille gedacht wird, so enthllt sich
+auch bei Foucault das Sein als Manifestation eines einzigen Prinzips,
+das in unterschiedlichen Aggregatzustnden auftritt: in reiner,
+bewegter Form als "immerwhrende Schlacht", als Strom von Krften und
+Gegenkrften; und in erstarrter, blockierter Form, in der sich die
+Macht zur 'Herrschaft' verfestigt hat (ebd. 38; 1985, 11). Man fhlt
+sich an die Metaphysik Heraklits erinnert - freilich an eine Version,
+in der der Logos nicht lnger Harmonie stiftet, sondern selbst zu
+einer Funktion des Kampfes geworden ist.
+
+
+Konzept der Disziplinargesellschaft angreifbar gemacht. Die Kritik
+richtet sich vor allem gegen den Reduktionismus, der dieses Konzept
+durchzieht. Die Machttheorie, lautet ein erster Einwand, lse die
+eigensinnige Entwicklungslogik rechtlicher und moralischer Normen in
+die blindzufllige Evolution von Gewaltverhltnissen auf und bergehe
+damit "die unverkennbaren Gewinne an Liberalitt und
+ Rechtssicherheit", die doch nicht zuletzt auf straf- und
+ strafprozerechtlichem Gebiet evident seien19. Sie reduziere, so der
+zweite Einwand, die komplexen Vorgnge der Sozialisation und
+Individuation in behavioristischer Manier auf eine Folge von
+unentwegten Konditionierungen und setze Individualitt zu einer "durch
+Auenreize produzierte(n), mit beliebig manipulierbaren
+Vorstellungsinhalten belegte(n) Innenwelt" herab; damit werde der
+Gewinn an Freiheit und Ausdrucksmglichkeit verspielt, den die
+"Etablierung und Verinnerlichung der subjektiven Natur" gebracht habe
+(Honneth 1985, 210; Habermas 1985, 337, 342; Turner 1987, 233, 238).
+Ein dritter Einwand zielt auf die machttheoretische Auflsung der
+Geltungsproblematik. Foucault, so Honneth, stelle sich nicht der
+Frage, wie denn die blo unter dem Gesichtspunkt sozialer
+Machtgewinnung entwickelten Diskurse in ganz anderen
+Handlungskontexten, etwa dem der technischen Beherrschung von
+Naturprozessen, von Erfolg gekrnt sein knnten 20. Da die
+vollstndige Leugnung universalistischer Geltungsansprche im Ergebnis
+auf ein "relativistisches Selbstdementi" auch der Machttheorie
+hinauslaufe, hat Habermas in einer scharfsinnigen Argumentation
+dargelegt (Habermas 1985, 327; Fink-Eitel 1980, 67f.; Bambach 1984;
+Taylor 1984). Weder fr die Eigenart normativer noch fr diejenige
+kognitiver Mechanismen, so lt sich die Kritik resmieren, hat die
+Machttheorie einen angemessenen Raum. Sie ist deshalb ungeeignet, die
+Komplexitt moderner Gesellschaften zu erfassen.
+
+
+Mechanismen zuerst zu sprechen, so ist Foucault zwar zuzugeben, da
+eine ganze Reihe von Diskursen in der frhen Neuzeit mit politischen
+Vorzeichen ins Dasein tritt und somit durchaus einer
+machttheoretischen Interpretation entgegenkommt. Es gibt in der Tat
+eine politische Anatomie und eine politische Technologie, wie ja auch
+bekanntlich die konomie sich zunchst als politische konomie
+begreift und offen die enge Verzahnung von Herrschaftsinteressen und
+Wirtschaftsordnung einbekennt. Alle diese Diskursformationen
+verweisen, wie unschwer zu sehen ist, auf die Intensivierung der
+politischen Rationalisierung, welche durch die Entstehung eines
+europischen Staaten- und Weltsystems seit dem 16. Jh. ausgelst wurde
+und namentlich in einigen kontinental-europischen Lndern zu einer
+weitreichenden Militarisierung und Brokratisierung fhrte, aus der
+der well-ordered police state des 17. und 18. Jhs. mit seiner Politik
+der Sozialdisziplinierung hervorging (Raeff 1983; Rassem 1983; Schulze
+1987).
+
+
+vermittelte politische Rationalisierung und deren Ausgreifen auf die
+unterschiedlichsten Lebensbereiche beschreibt, ist ihm nicht zu
+widersprechen. Die Machttheorie zielt indes darber hinaus und setzt
+sich dadurch der Kritik aus. Wenn es nmlich einen herausragenden Zug
+in der Entwicklung seit dem 19. Jh. gibt, dann den, da sowohl die
+Gesellschaft als auch die Wissenschaft immer weniger durch ihr
+politisches Vorzeichen bestimmt sind und sich stattdessen in Formen
+abstrakt und anonym gewordener Verhltnisse realisieren, die sich mit
+dem Begriff der Macht nur mehr um den Preis einer Contradictio in
+adiecto bezeichnen lassen. Die unterschiedslose Subsumtion der
+politisch strukturierten Gesellschaft des Ancien Rgime und der
+modernen kapitalistischen Gesellschaft unter einen Begriff der Macht,
+der von Foucault selbst als "Fortsetzung des Krieges mit anderen
+Mitteln", als eine Form "kriegerischer Herrschaft " und als
+"verallgemeinerter Krieg" (1978, 71, 40; 1976, 38, 217) definiert
+ wird, verdeckt die grundlegende Tatsache, da die heutige Welt, wie
+Marx es ausgedrckt hat, eine Welt der sachlichen
+Abhngigkeitsverhltnisse im Gegensatz zu den persnlichen ist, eine
+Welt, in der die Individuen "von Abstraktionen beherrscht werden,
+whrend sie frher voneinander abhingen" (Marx 1974, 81f.).
+
+
+Gesellschaft, der sich nach Marx bekanntlich so sehr anonymisiert, da
+selbst der Kapitalist im Zuge der Entwicklung zum Aktienkapital als
+berflssige Person aus dem Produktionsproze verschwindet. Er gilt in
+noch eminenterem Sinne fr Wissenschaft und Technik, die mit
+Willenskategorien nicht mehr begriffen werden knnen. Wissenschaft und
+Technik gehorchen keinem einzigen der Kriterien, die Foucault fr die
+Macht anfhrt. Sie sind weder relational noch intentional, noch
+partikular-interessengebunden, noch militrisch-kriegerisch, obwohl
+ihnen diese Dimensionen sekundr durchaus zukommen knnen. Ihre
+Kriterien sind ausnahmslose Geltung (solange keine Falsifizierung
+vorliegt), absolute Notwendigkeit, durchgehende rationale
+Gesetzmigkeit und Autonomie im Sinne der Kontrolle ber ihre
+Voraussetzungen. Wissenschaft und Technik sind keine Funktion der
+Macht, sie ersetzen vielmehr das Gefge wechselnder
+Willensverhltnisse durch ein System, das selbstreferentiell und
+'autopoietisch' (Luhmann) prozediert, d.h. nur solche Elemente
+verwendet, die innerhalb des Systems selbst konstituiert werden. Ein
+solches Verstndnis schliet nicht aus, die Autopoiesis von
+Wissenschaft und Technik ihrerseits als gesellschaftlich produziert
+und durch die herrschende gesellschaftliche Struktur vermittelt zu
+begreifen; wohl aber, sie wie Foucault auf ein bloes Machtspiel zu
+reduzieren.
+
+
+Hinblick auf normative Mechanismen. Zwar fehlt der Begriff der 'Norm'
+durchaus nicht in Foucaults Arbeiten, wie dies ja auch bei
+Untersuchungen, die mit dem Strafsystem zu tun haben, kaum zu
+vermeiden ist. Wie Canguilhem jedoch, auf dessen Vorarbeiten er sich
+explizit beruft, versteht Foucault diesen Begriff ausschlielich im
+Sinne der modernen Industrienormen, als ein Richtma, das dazu dient,
+"einem Daseienden, Gegebenen eine Forderung aufzuzwingen, von der aus
+sich Vielfalt und Disparatheit dieses Gegebenen als ein nicht blo
+fremdes, sondern feindliches Unbestimmtes darstellen" (Canguilhem
+1977, 163). Die Macht der Norm kommt nach diesem Verstndnis vor allem
+in der Disziplin zum Ausdruck, in den verschiedenen Techniken der
+Normierung und Normalisierung, die die Individuen einem System
+zwanghaft fixierter Verhaltensschemata unterwerfen und dadurch
+Stabilitt und Homogenitt des Herrschaftsgefges sichern.
+"Disziplinarische Normalisierung", sagt Foucault, "ist der Entwurf
+eines optimalen Modelles, die Operation der Disziplin besteht darin,
+die Leute an dieses Modell anzupassen" (1982, 8).
+
+
+einfngt, die in den herkmmlichen Ideen- und Rechtsgeschichten
+notorisch unterbelichtet bleiben; der Stellenwert, der ihnen in einer
+nichtreduktionistischen Theorie der Rationalisierung zukommt, wird
+noch zu errtern sein. Nicht weniger evident ist indes, da es nur
+einen Ausschnitt aus jenem breiten Spektrum von Formierungs- und
+Kontrollmechanismen erfat, wie es lange vor Foucault eindrucksvoll
+von Kant skizziert worden ist. In seiner Vorlesung ber Pdagogik
+(1803), die Foucault bei seiner Arbeit an der bersetzung der
+ 'Anthropologie in pragmatischer Hinsicht' sicher nicht entgangen sein
+wird21, schrnkt Kant die Disziplin auf die Rolle eines blo negativen
+Fundaments ein: Fundament, weil die Disziplin oder Zucht die Tierheit
+in die Menschheit umwandle und verhte, da die Individuen durch ihre
+animalischen Antriebe von ihrer menschlichen Bestimmung abgelenkt
+wrden; nur negativ, weil die Disziplin blo Fehler verhindere, ohne
+selbst eigene positive Ziele geben zu knnen. Neben dieser 'blo
+physischen' Erziehung durch Disziplinierung kennt Kant die praktische
+Erziehung, die sich ihm als ein Bndel komplexer, neben dem ueren
+Verhalten zunehmend auch das Innere erfassender Strategien darstellt:
+als Kultivierung, die die ntigen Fertigkeiten und Geschicklichkeiten
+vermittelt; als Zivilisierung, die die fr den gesellschaftlichen
+Verkehr unentbehrlichen Formen der Affektmodellierung und
+Triebkontrolle bereitstellt; und als Moralisierung, die auf die
+Unterwerfung der je subjektiven Zwecke und Motive unter
+gesellschaftliche, d.h. universalistische Prinzipien zielt. "Der
+Mensch soll nicht blo zu allerlei Zwecken geschickt sein, sondern
+auch die Gesinnung bekommen, da er nur lauter gute Zwecke erwhle.
+Gute Zwecke sind diejenigen, die notwendigerweise von jedermann
+gebilligt werden; und die auch zu gleicher Zeit jedermanns Zwecke sein
+knnen" (Kant 1968, XII, 707).
+
+
+anschlieen: einmal, weil die Ethik, auf der sie beruht, die
+Sozialisation in eine abstrakte Gesellschaft zum Telos hat (Adorno, GS
+6, 211ff.), dann aber auch, weil der Disziplinbegriff mit seiner
+Beschrnkung auf rein negative Funktionen zu eng ist und Kants eigenen
+Darlegungen nicht entspricht: Wenn es nicht nur eine Disziplin des
+Krpers und der Affekte, sondern auch eine Disziplin der reinen
+Vernunft gibt, so sind zumindest die Grenzen zwischen Disziplinierung
+und Kultivierung (im Sinne einer Ausbildung kognitiver Fhigkeiten)
+weit durchlssiger, als Kant wahrhaben will22. Gegenber Foucaults
+extensivem Verstndnis von Disziplin indes, das auch noch
+interaktionsbezogene und normative Mechanismen umfat, ist Kants
+Modell vorzuziehen, weil es die verschiedenen Dimensionen des modernen
+Formierungsprozesses klarer differenziert: die nichtdiskursiven
+Praktiken fr die Schaffung gehorsamer und gelehriger Krper; die
+Formung eines methodisch-disziplinierten wissenschaftlichen Verstandes
+durch Schulung/Unterweisung, welche freilich auf den nichtdiskursiven
+Praktiken des Drills und der Bestrafung aufbaut und sich nicht selten
+darin erschpft, wie ein Blick in die Geschichte der 'Schwarzen
+Pdagogik' lehrt (Rutschky 1977; Stone 1979, 115ff.; de Mause 1980, 66
+ff.); die mit dem Begriff der Zivilisierung umschriebene Sublimierung
+von Interaktionsanforderungen, die fr das Leben bei Hofe oder in der
+guten Gesellschaft erforderlich war; und jene singulre, untrennbar
+mit dem okzidentalen Brgertum verbundene Strategie der Moralisierung,
+die das Prinzip des 'affektiven Individualismus' (Stone) mit der
+Implantation eines 'vorhergehenden Gewissens' verkoppelte (Kittsteiner
+1984). Erst diese letztere Strategie vollendet die berwindung des
+Naturzustands, weil allein sie in jene inneren Reservate vorzudringen
+vermag, die sowohl der Disziplinierung als auch der Kultivierung und
+Zivilisierung als blo uerlichen Konditionierungsweisen unzugnglich
+bleiben. Kant hat daher in der Moralisierung das hchste und zugleich
+am schwersten erreichbare Ziel der Erziehung gesehen:
+
+
+Artigkeit und Anstndigkeit. Aber, uns fr schon moralisiert zu halten, daran fehlt noch sehr viel. Denn die Idee der Moralitt gehrt
+noch zur Kultur; der Gebrauch dieser Idee aber, welcher nur auf das Sittenhnliche in der Ehrliebe und der ueren Anstndigkeit
+ hinausluft, macht blo die Zivilisierung aus. So lange aber Staaten alle ihre Krfte auf ihre eiteln und gewaltsamen
+Erweiterungsabsichten verwenden, und so die langsame Bemhung der inneren Bildung der Denkungsart ihrer Brger unaufhrlich
+hemmen, ihnen selbst auch alle Untersttzung in dieser Absicht entziehen, ist nichts von dieser Art zu erwarten; weil dazu eine lange
+innere Bearbeitung des gemeinen Wesens zur Bildung seiner Brger erfordert wird" (Kant 1968, XI, 44f.).
+
+
+pauschalisierender Rede von Normierung/Normalisierung besteht darin,
+da es eine ganze Reihe von Forschungen zu integrieren vermag, von
+denen Foucault nur am Rande oder gar nicht Notiz nimmt, obwohl sie
+sein Thema unmittelbar berhren. Auf dem Gebiet der Disziplinierung
+ist hier etwa an die verschiedenen religs-ethisch motivierten Formen
+der Selbstdisziplin zu denken, wie sie in der frhen Neuzeit vom
+Neostoizismus oder vom Puritanismus propagiert wurden
+(Treiber/Steinert 1980, 90, 104ff.; Leites 1988); auf dem Gebiet der
+Kultivierung an die Bedeutung der Alphabetisierung und
+Literarisierung, die seit dem 16. Jh. einem stets wachsenden Teil der
+Bevlkerung Zugang zu einem der wichtigsten Machtmittel verschafften,
+gleichzeitig aber auch die Basis staatlicher Herrschaft erweiterten
+(Schenda 1981; Spittler 1980); auf dem Gebiet der Zivilisierung
+natrlich an die Arbeiten von Norbert Elias ber die
+Verhaltensnderungen in den weltlichen Oberschichten des Abendlands,
+die zum Vorbild fr zahlreiche weitere Untersuchungen geworden sind
+(Gleichmann 1979, 1984; Krumrey 1984; Schrter 1985). Der Proze der
+Moralisierung endlich ist zu wissenschaftlicher Prominenz
+hauptschlich im Zusammenhang mit den Diskussionen ber die
+protestantische Ethik gelangt, doch war er damit mitnichten zuende: so
+hat z.B. Wolfgang Dreen die berlegenheit der franzsischen
+Revolutionsarmeen gegenber dem Heer friderizianischer Prgung mit der
+greren taktischen Beweglichkeit erklrt, welche das
+Erziehungsprinzip der moralischen Selbstregulierung gegenber einer
+blo mechanischen Disziplin gewhrt (Dreen 1982, 266f.); ein anderes
+Beispiel ist der auffllige Rckgang der Verbrechensrate in der Zeit
+zwischen ca. 1840 und 1930, der von manchen Autoren mit dem Hinweis
+auf jene eigentmliche Intensivierung des Moralbewutseins erklrt
+wird, welche sich an so unterschiedlichen Phnomenen wie der aus der
+evangelikalen Erweckungsbewegung hervorgegangenen Stadtmissionierung,
+den philanthropisch inspirierten Reformen des Sozial- und
+Erziehungswesens und der Ausbreitung des Temperenzlertums ablesen
+lasse23. Ob diese Hypothese stimmt oder nicht - sie steht immerhin in
+Widerspruch zu der von Durkheim anhand der kontrr verlaufenden
+Selbstmordkurve entwickelten Anomiethese -, ist eine Frage, die nur
+empirisch entschieden werden kann. Da sie berhaupt aufgestellt und
+mit plausiblen Argumenten untermauert werden kann, ist allerdings ein
+Indiz fr die Notwendigkeit, den kategorialen Rahmen nicht dadurch von
+vornherein einzuschrnken, da man Moralisierung auf eine Variante der
+Disziplinierung reduziert24.
+
+
+mu, sieht nicht gnstig aus. Die Machttheorie, die das Konzept der
+Disziplinargesellschaft tragen soll, vermag diese Aufgabe nicht zu
+erfllen. Sie ist reduktionistisch und simplifizierend, sie produziert
+Pseudoevidenzen und fhrt dazu, die Bewegung des Gedankens vorschnell
+zu sistieren. Sie prsentiert sich als objektive Genealogie und ist
+doch in Wahrheit reiner Subjektivismus, der alles, was ist, auf Wille
+und Handlung zurckfhrt. Sie verspricht eine neue,
+nichttotalisierende Geschichte und totalisiert doch selbst, nur sehr
+viel schlechter als etwa Marx oder Hegel, indem sie alle Differenzen
+in den allgemeinen Nebel der 'Macht' auflst. Auf dieser Grundlage ist
+ das Projekt einer Theorie der Disziplinargesellschaft undurchfhrbar.
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+in diese Richtung. Habermas, der sich gleichwohl von Foucaults
+Analysen der kapillarischen Wirkungen der Disziplin fasziniert zeigt,
+ist vom "Primat der Lebenswelt" gegenber den vermachteten und
+disziplinr organisierten Subsystemen der modernen Gesellschaft zu
+tief berzeugt, als da er mit der Diagnose eines 'Kerker-Kontinuums'
+sich anfreunden knnte. Eine derartige Charakterisierung erscheint ihm
+als unhaltbar, weil sie die Zweideutigkeit des
+Modernisierungsprozesses, das Nebeneinander von pathologischen und
+emanzipatorischen Zgen, unterschlage. hnlich sieht es Honneth: das
+von Foucault entworfene "Zwangsmodell gesellschaftlicher Ordnung", das
+im Ergebnis auf verblffende Weise mit Adornos Vision der verwalteten
+Welt bereinstimme, sei unbrauchbar, weil in ihm die "normativen und
+kulturellen Orientierungen der vergesellschafteten Subjekte" keinen
+Anteil an der sozialen Integration htten25.
+
+
+Disziplinargesellschaft so aktuell macht. Wie realittsnah Foucaults
+Untersuchungen trotz ihrer theoretischen Schwchen sind, zeigt sich
+nirgends deutlicher als in dem Umstand, da etwa Habermas in seinen
+empirisch gerichteten Gegenwartsdiagnosen dem Konzept der
+Disziplinargesellschaft erheblich nher kommt, als es die theoretisch-
+programmatische Distanzierung gestattet. Nicht anders als Foucault
+konstatiert auch er eine "Ausdehnung und Verdichtung des monetr-
+brokratischen Komplexes", die zu einer Entmchtigung des
+kommunikativen Handelns fhre; nicht anders als der Theoretiker der
+Macht-Wissen-Komplexe registriert auch er das "hypertrophe Wachstum
+der mediengesteuerten Subsysteme, welches ein bergreifen
+administrativer und monetrer Steuerungsmechanismen auf die Lebenswelt
+zur Folge hat" (Habermas 1981, 516, 460, 489). Gewi - Habermas geht
+nicht so weit, auch im Individuum ein bloes Korrelat von
+Machttechniken zu sehen. Da die gesellschaftliche Ordnung der Moderne
+aber auf weite Strecken von nichtnormativen Praktiken regiert wird,
+rumt auch er ein: "Indem sich die Subsysteme Wirtschaft und Staat
+ber die Medien Geld und Macht aus einem in den Horizont der
+Lebenswelt eingelassenen Institutionensystem ausdifferenzieren,
+entstehen formal organisierte Handlungsbereiche, die nicht mehr ber
+den Mechanismus der Verstndigung integriert werden, die sich von
+lebensweltlichen Kontexten abstoen und zu einer Art normfreier
+Sozialitt gerinnen" (ebda; 455). Als deskriptiver Begriff ist das
+Konzept der Disziplinargesellschaft also offenbar doch nicht vllig
+unbrauchbar; und es gewinnt noch an berzeugungskraft, wenn man sieht,
+wie bla und leer der von Habermas als Konterkategorie eingefhrte
+Begriff der Lebenswelt letztlich bleibt.
+
+
+ist zu negieren, soweit es sich zur Totalitt aufspreizt und sich als
+Aussage ber das Ganze der modernen Gesellschaft prsentiert, wie dies
+ in der Redeweise vom "Kerker-Gewebe der Gesellschaft" oder vom
+"verallgemeinerte(n) Kerkersystem, das in die Tiefe des
+Gesellschaftskrpers hineinwirkt" (1976, 392, 390), geschieht. Die
+Gesellschaft ist kein Gefngnis und die Vernunft nicht die Folter.
+Festzuhalten aber ist das Konzept, insofern es das Faktum registriert,
+da die Disziplin den brigen von Kant herausgearbeiteten
+Formierungsmechanismen eindeutig den Rang abgelaufen hat. So entpuppt
+sich beispielsweise ein erheblicher Teil der von Elias unter dem Titel
+'Zivilisierung' beschriebenen Konditionierungsvorgnge (etwa des
+Sexualverhaltens oder der Reinlichkeitsdressur) bei nherem Hinsehen
+als eine Variante der Disziplinierung, wohingegen die typischen
+Manifestationen von Zivilisation (im Sinne z.B. des Raffinements der
+Konversation, der Steigerung der Distinktionsfhigkeit oder einfach
+des schonenden und taktvollen Umgangs miteinander) ihren sozialen
+Trger - die hfische Aristokratie und das noch halb aristokratische
+Brgertum des 18. und 19. Jhs. - nicht berlebt haben. Da hfische
+Interaktionsformen ohne wesentlichen Kontinuittsbruch von der
+industriellen Gesellschaft bernommen und zu konstitutiven Merkmalen
+bestimmter Nationalcharaktere erhoben worden seien - diese seine
+Zentralthese belegt Elias nicht, und sie leuchtet auch nicht ein vor
+dem Hintergrund einer Konfiguration, die nicht mehr wie die hfische
+Gesellschaft von einer konomie der Verschwendung geprgt ist, sondern
+von einer 'konomie der Zeit' (Marx), die die Zivilisationskurve des
+Essens auf das Niveau von fast food und die der Erotik auf dasjenige
+von quickies herabgedrckt hat. Wie weiter oben gezeigt, gewinnen denn
+auch seit einiger Zeit Theorien an Plausibilitt, die die Epoche in
+geradem Gegensatz zu Elias im Zeichen einer skularen Entzivilisierung
+sehen.
+
+
+ab. Nicht da moralische Codierungen an Prominenz verlren oder keinen
+Einflu auf Interaktionen und Entscheidungen mehr ausbten. Ganz im
+Gegenteil. Der moralische Protest beispielweise (um nur eine der
+vielfltigen Erscheinungsformen des Moralischen herauszugreifen)
+verfgt heute ber ein so ausgedehntes Themenreservoir und ein so
+breites Rekrutierungsfeld, da seine Regenerationsfhigkeit auf
+lngere Zeit gesichert ist. Es gibt immer wieder eine neue Diktatur,
+auf die sich pltzlich die Aufmerksamkeit richtet, immer wieder eine
+neue Dummheit irgendwelcher Exekutiven, an der sich die Flamme der
+Emprung entznden kann. Im Zeitalter des Satellitenfunks wchst die
+Zahl der Ungerechtigkeiten mit den im Einsatz befindlichen
+Nachrichtenjgern und fhrt dem Dauerprotest immer neue Motive zu.
+
+
+auch der brgerlichen Pdagogik des 19. Jhs. vorschwebte, mssen diese
+Erscheinungsformen strikt getrennt werden. Die brgerlich-
+protestantische Moralisierung zielte auf Formung des Ungeformten, auf
+Domestizierung jenes in den unauslotbaren Tiefen der Seele noch
+fortwirkenden Naturzustandes, der auf staatlich-juridischer Ebene mit
+dem Abschlu des Gesellschaftsvertrages berwunden worden war. Ihr
+Erziehungsmodell war jener von Riesman treffend beschriebene
+innengeleitete Charakter, der sich an die Signale eines frhzeitig
+internalisierten seelischen Kreiselkompasses gebunden fhlte und
+dergestalt individuelle Autonomie mit gesellschaftlicher,
+prinzipiengesteuerter Orientierung verband.
+
+
+die Grundlage entzogen. Schon Freud registrierte, da nur eine
+ Minderheit ber ein steuerndes und lenkendes Gewissen verfgte,
+whrend die Mehrzahl davon nur ein bescheidenes Ma mitbekommen habe
+(Freud I; 500); hnlicher Ansicht war Max Weber, fr den das
+'stahlharte Gehuse' des Kapitalismus lngst ohne die Verinnerlichung
+einer spezifischen Berufsethik funktionierte, oder Georg Simmel, fr
+den die Moderne eine Individualisierung wie noch zu Rembrandts oder
+Shakespeares Zeiten ausschlo; die heutigen Individuen, meinte Simmel,
+seien "nichts als die Oszillationen in einer heraklitischen Welt, zu
+deren Totalitt sie die Zugehrigkeit nur um den Preis gewinnen,
+jegliche Substanz und Lebenseinheit dem bloen Jetzt des absoluten
+Werdens preiszugeben" (Simmel 1919, 138). Nicht anders sahen es spter
+so gegenstzliche Autoren wie Adorno, von dessen Auffassung noch
+ausfhrlicher die Rede sein wird, und Arnold Gehlen, fr den die
+Moderne einerseits durch 'Schnittpunktexistenzen', andererseits durch
+eine ungemeine Ausdehnung der Willkr bestimmt war. Gerade weil die
+Individuen in einer von Automatismen und Schematismen geprgten Welt
+nichts Wirkliches mehr verndern knnten, so Gehlens These, strzten
+sie sich in einen ungehemmten Subjektivismus, eine
+'Moralhypertrophie', die ebenso exaltiert wie folgenlos sei26. Da
+eine derart zum Mittel des persnlichen Ausdrucks gewordene Moral noch
+als 'Schrittmacher der sozialen Evolution' (Habermas) fungieren
+knnte, erscheint unwahrscheinlich, was freilich politische und
+soziale Folgen des expressiven Moralismus keineswegs ausschliet. Im
+Hinblick auf die Gesamtgesellschaft jedenfalls drfte die Vermutung
+Luhmanns realistischer sein, da "die Dominanz funktionaler
+Differenzierung, wenn und soweit sie sich als Formprinzip der
+Gesellschaft durchsetzt, die Moral evolutionr abhngt und ideologisch
+wie motivational disprivilegiert"27. Das Ende der Moral ist damit
+nicht erreicht. Wohl aber jener Moralisierung, von der noch Kant
+trumte.
+
+
+aus, die 'dunkle Kehrseite' der Moralisierung und Zivilisierung - die
+Disziplin. Zu den klassischen totalen Institutionen - Kloster und
+Kaserne - sind seit dem 19. Jh. zahllose andere hinzugekommen:
+Institutionen der aufbewahrenden Frsorge wie Blinden- und
+Altersheime, Waisenhuser und Armenasyle; der isolierenden Frsorge
+wie Krankenhuser und Psychiatrien; der Einschlieung und Absonderung
+wie Zuchthuser, Gefangenen-, Konzentrations- und Arbeitslager. Durch
+die Vermehrung und Expansion dieser Disziplinaranlagen verwandelt sich
+die Gesellschaft nicht in ein Kerker-Kontinuum. Wie Goffman zu Recht
+bemerkt, sind totale Institutionen weder mit der Arbeit-Lohn-Struktur
+noch mit der familialen Gliederung, noch, wie man hinzufgen kann, mit
+der auf Konkurrenz gegrndeten Organisation des politischen Systems
+vereinbar (Goffman 1972, 22ff.). Unverkennbar ist jedoch, da
+disziplinre Mechanismen auch in den offenen, durch freie
+Mitgliedschaft gekennzeichneten Institutionen eine dominierende Rolle
+spielen. Disziplinr organisiert, sogar mit einem eigenen
+Disziplinarrecht ausgestattet, ist der gesamte Staatsapparat mit
+seinem stehenden und seinem sitzenden Heer. Disziplinr organisiert
+sind die privaten gewerblichen Betriebe, wovon schon ein einziger
+Blick in eine Fabrikhalle oder ein Groraumbro zeugt
+(Treiber/Steinert 1980; Fritz 1982) - ganz zu schweigen von den rasch
+expandierenden mikroelektronischen Personalinformationssystemen, die
+Zugang, Leistung und Kommunikation innerhalb der Betriebe einer
+lckenlosen Kontrolle unterwerfen und, indem sie das Auge des Meisters
+durch das zwingende Wissen des Computers ersetzen, eine neue Stufe in
+der Evolution der Disziplin ankndigen: die Automatisierung der
+ Disziplin (Ortmann 1984, 107ff.; Poster 1984, 115). Der organisierte
+Massensport, vom Volkslauf bis zum Werksfuball, ist eine einzige
+Disziplinaranlage (Rigauer 1982; Eichberg 1986, 185ff.); und ohne
+Disziplin geht im modernen Massentourismus nichts. Auch in der
+politischen Demokratie dominieren brokratische Apparate und
+hierarchisch strukturierte Entscheidungsprozesse. Selbst die
+Opposition gegen diese Apparate und die von ihnen erzwungene Disziplin
+kommt nicht umhin, ihre Anhnger zu reglementieren und dabei ihr
+charismatisches Kapital aufzuzehren. Kein Zweifel: in einer
+Gesellschaft, die den weitaus grten Teil ihrer Funktionen ber
+Organisationen abwickelt, ist Disziplin - die pauschale Anerkennung
+und automatische Befolgung der Mitgliedschaftsregeln - zur Conditio
+sine qua non geworden. Mit seiner berhmten Metapher vom 'stahlharten
+Gehuse' hat Max Weber diese Entwicklung vor mehr als achtzig Jahren
+antizipiert.
+
+
+oder 'strategischen Spielen' (Foucault) zu tun, sondern ist eine Folge
+von Systemprozessen, die sich jeder interaktionistischen Deutung
+entziehen. Die moderne Gesellschaft ist das Ergebnis einer
+weltgeschichtlich einzigartigen Desintegration, in deren Verlauf sich
+der in den vormodernen Kulturen politisch oder religis eingekapselte
+Modus der funktionalen Differenzierung verselbstndigte und zur
+Evolution neuer, hchst unwahrscheinlicher und riskanter Synthesen
+trieb. Anstelle der autarken Lokalgesellschaften des Mittelalters trat
+ein interdependentes Verflechtungssystem, das den gesellschaftlichen
+Stoffwechsel mit der Natur von der Vermittlung durch die Zirkulation
+von Waren abhngig machte; anstelle der direkten, familial, politisch-
+herrschaftlich und religis begrndeten Bindungen eine indirekte
+Synthese, in der die einzelnen ihre Verklammerung in das bergreifende
+Verflechtungsnetz erst auf dem Markt erfuhren.
+
+
+berzeugende Weise dargestellt. Er hat gezeigt, wie die Verdichtung
+von funktionaler Differenzierung und Marktvergesellschaftung dazu
+fhrte, da sich das Wertgesetz als Prinzip der Systemintegration
+durchsetzte, wie dieses Wertgesetz die Homogenisierung der
+Einzelarbeiten durch Messung am Tauschwert, d.h. durch Relationierung
+der in Zeitquanta ausgedrckten abstrakten Arbeit, bewerkstelligte;
+wie diese Homogenisierung mit zunehmender Ausdehnung der Lohnarbeit
+und fortschreitender Vergesellschaftung der Produktion mehr und mehr
+in den Produktionsproze selbst verlagert wurde, indem die Funktionen
+der lebendigen und der toten Arbeit (der Maschinerie) nach
+einheitlichen Zeitmastben koordiniert bzw., um einen Ausdruck Sohn-
+Rethels aufzugreifen, 'kommensuriert' wurden; und wie dadurch die
+abstrakte Zeit aus einem nur ideell gesetzten Mastab zum
+beherrschenden Organisationsprinzip der konomie wird. Damit ist nicht
+gesagt, da die zeitkonomische Durchdringung sich in smtlichen
+Produktionszweigen linear und simultan durchsetzt. Wie die kritische
+Modifizierung der Thesen Sohn-Rethels durch die neueren Forschungen
+des 'Instituts fr Sozialforschung' gezeigt hat, vollzieht sich die
+zeitkonomische Rationalisierung in heterogenen Verlaufsformen, die
+durch die variierenden Marktverhltnisse und durch branchenspezifische
+Besonderheiten geprgt sind28. Der skulare Trend bleibt davon jedoch
+unberhrt. Kapitalisierung bedeutet Objektivierung und Erweiterung der
+zirkulationsbegrndeten Formen von Wissen, Kommunikation und
+Organisation; dagegen Formalisierung und Entwertung aller
+'naturwchsig'-spontanen Kompetenzen, Denk- und Erfahrungsmuster.
+ "konomie der Zeit, darein lst sich schlielich alle konomie auf"
+(Marx 1974, 89).
+
+
+Foucault beschriebenen Verallgemeinerung der Disziplin zu suchen.
+Natrlich beginnt die Geschichte der Disziplin nicht erst mit der
+brgerlichen Gesellschaft und der fr sie typischen 'Herauslsung' der
+konomie; und natrlich spielen auerkonomische, insonderheit
+politische Mechanismen wie die Konzentration der Verwaltungs- und
+Kriegsbetriebsmittel im absolutistischen Staat eine nicht
+wegzudenkende Rolle fr den bergang von der bloen 'Virtuosen-' zur
+'Sozialdisziplinierung' (Treiber/Steinert 1980, 89; Dreyfus/Rabinow
+1987, 165; Bauer/Matis 1988, 315ff.). Whrend aber diese frhen Formen
+der Disziplinierung des subjektiven Antriebs und der Gewalt nicht
+entbehren knnen - die Menschen, schreibt Friedrich II. von Preuen,
+"bewegen sich, wenn man sie antreibt, und stehen still, wenn man nur
+einen Augenblick aufhrt, sie vorwrts zu drngen"(Hubatsch 1973, 234)
+- kommt es zu einer Objektivierung und damit zu einer dauerhaften
+Verallgemeinerung der Disziplin erst mit der Totalisierung der
+abstrakten Arbeit und dem damit verbundenen Aufstieg der abstrakt-
+linearen Zeit zur 'Systemzeit'29. Zeitkonomische Imperative fhren zu
+einer Umstrukturierung des konstanten und einer tiefgreifenden
+Vernderung des variablen Kapitals, welche vor allem die Zurichtung
+der motorischen und sensomotorischen Bewegungsablufe und die
+Zurckdrngung des 'Krper-Wissens' betrifft (Bhle 1989).
+Zeitsparende Mechanismen sedimentieren sich im Aufbau der modernen
+Groorganisationen und stellen auch hier das Verhalten unter das
+Diktat der Zeitdisziplin. Selbst scheinbar so eigenstndige Strukturen
+wie die Prinzipien der vertikalen Kommunikation, der Rollentrennung
+und der Entscheidung nach universalistischen Kriterien lassen sich
+nach Luhmann unter dem Gesichtspunkt interpretieren, da sie
+langwierige interne und externe Kommunikationsprozesse abkrzen sollen
+(Luhmann 1983, 15O). Es drfte nicht schwerfallen, auch im sogenannten
+Freizeitbereich Formen zu identifizieren, die der ubiquitren
+Temporalisierung Rechnung tragen und ihr adquate Rezeptions- und
+Verhaltensstile etablieren (Film, Autokultur). Da die
+'Disziplinarzeit' auf die pdagogische Praxis bergreift und hier zu
+grundlegenden Umwlzungen fhrt, indem sie z.B. die Ausbildungs- von
+der Berufszeit lst, hat Foucault gesehen, allerdings sogleich in den
+Rahmen der Machttheorie gepret: "Die Macht tritt der Zeit sehr nahe
+und sichert sich ihre Kontrolle und ihre Ausnutzung" (1976, 206). In
+Wirklichkeit verhlt es sich genau umgekehrt: die Zeit wird nicht zu
+einer Funktion der Macht, sondern die zur Systemzeit gewordene Zeit
+produziert asymmetrische Handlungs- und Befehlsketten und generiert
+damit Machtrelationen, die das Verhalten der einzelnen determinieren.
+
+
+
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+Einwand erhoben, sie stelle zu einseitig die Aspekte der
+Herrschaftssicherung und Verdinglichung heraus und verfehle damit die
+bei Foucault doch auch angelegte Einsicht, da "jene Vorgnge eines
+ organisierten Ausbaus der Sozialkontrolle stets in einem
+lebensweltlichen Horizont von praktischen Konflikten um die
+Legitimitt sozialer Machtansprche verwirklicht sind" (Honneth 1989,
+238). Diese Kritik ist nun ihrerseits von Einseitigkeiten nicht frei,
+geht sie doch stillschweigend darber hinweg, da ich von
+institutionalisierter Sozialkontrolle allein im Hinblick auf
+organisierte Sozialsysteme gesprochen und weder die Mglichkeit von
+Widerstand noch von moralischen Orientierungen bestritten habe.
+Gleichwohl trifft sie einen Punkt, der in meinen Ausfhrungen in der
+Tat zu kurz kam. Auch organisierte Sozialsysteme lassen sich heute
+zunehmend weniger nur aus der Perspektive des 'Kontroll-Paradigmas'
+fassen, also jenes Interpretationsrasters, das vor allem die
+Reglementierung des Erlebens und Handelns von Personen durch
+Organisationen betont und Subjektivitt auf eine bloe
+Ausfhrungsinstanz des Sozialsystems reduziert (Schimank 1986, 73).
+Dieses Paradagma ist zwar nicht falsch, mu jedoch durch eine andere
+Sichtweise ergnzt werden, derzufolge Subjektivitt nicht blo auf den
+Nachvollzug immer schon konstituierter sozialer Ordnungen beschrnkt
+ist, sondern diese, wenn schon nicht konstituiert, so doch
+mitkonstituiert (ebd. 75). Da fr Foucault erst beide Perspektiven
+zusammen ein vollstndiges Bild ergeben, wurde am Ende des ersten
+Abschnittes gezeigt; Foucault selbst hat es noch einmal in der
+Einleitung zum zweiten Band der Histoire de la sexualit
+unterstrichen, in der er darauf verweist, "da jede 'Moral' im weiten
+Sinn die beiden angegebenen Aspekte enthlt: den der Verhaltenscodes
+und den der Subjektivierungsformen" (1986, 41). Honneth hat also
+recht, auf eine angemessene Behandlung der letzteren zu dringen. Im
+Gegensatz zu der weiteren von ihm vorgeschlagenen Interpretation, die
+hierin eine Strke der handlungs- gegenber den systemtheoretischen
+Komponenten von Foucaults Analysen sieht, mchte ich allerdings die
+These vertreten, da die Bercksichtigung der Subjektivitt in
+organisierten Sozialsystemen nur zu einer Flexibilisierung, nicht aber
+zu einer Sprengung des Begriffs der Disziplinargesellschaft fhrt.
+
+
+Komplexitt nicht mehr den gleichen Erklrungswert beanspruchen kann
+wie zu Beginn des Jahrhunderts, als Weber seine Brokratietheorie und
+Taylor seine Methoden der wissenschaftlichen Arbeitsgestaltung und
+Betriebsfhrung entwickelte, wird heute durch zahlreiche
+Untersuchungen besttigt, die einen Wandel der Institutionen zu
+weniger hierarchischen, mehr informalen und kollegialen Strukturen
+dokumentieren. Dies gilt etwa fr die Organisationssoziologie, die
+seit lngerem das Zurcktreten der verfahrensorientiert-unpersnlichen
+Strukturen hinter dienstleistungsorientiert-persnlichen Formen
+registriert und Human-Relations-Gesichtspunkte in den Vordergrund
+stellt (Schluchter 1972, 140ff.; Hage 1980). Es gilt aber auch fr die
+Industriesoziologie, die in wichtigen Bereichen eine Abkehr von den
+bislang dominierenden tayloristischen Formen der Zeitkonomie
+festgestellt hat (Kern/Schumann 1984; Bergmann u.a. 1986; Manske 1987;
+Malsch 1987; Wuntsch 1988, 331ff.; Brandt 1990, 358ff.). Zwar hat sich
+die Ankndigung einer 'Neoindustrialisierung', die eine Zurckdrngung
+der Heteronomie von Industriearbeit ermglichen und die
+"Voraussetzungen fr kompetentes, selbstbewutes Verhalten im
+Arbeitsproze" schaffen sollte (Kern/Schumann 1984, 327; kritisch
+hierzu: Schmiede/v. Greiff 1985), als berzogen erwiesen, doch gilt
+dies ebenso fr die Annahme einer stetigen Steigerung der direkten
+sozialen Kontrolle durch Dequalifizierung der Arbeitskraft einerseits,
+Zentralisierung des Produktionswissens beim Management andererseits.
+ Neuere empirische Untersuchungen legen den Schlu nahe, da die
+tayloristischen und fordistischen Strategien der zeitkonomischen
+Arbeitszerlegung nur fr bestimmte Sektoren der Massenproduktion
+galten, whrend sie etwa in der kleinserigen, komplexen
+Maschinenfertigung stets an den hohen Kosten scheiterten, die fr den
+Aufbau leistungsfhiger Arbeitsvorbereitungsabteilungen ntig gewesen
+wren (Manske 1987, 170); sie zeigen zugleich, da der Taylorismus als
+das Mittel zur zentralistischen Kontrolle der Arbeitsausfhrung und
+damit der Arbeiter berall dort seine Grenze findet, wo die
+Besonderheiten von Materialien und Produkten sowie die Marktlage ein
+hohes Ma an betrieblicher Flexibilitt und Reaktionsfhigkeit
+erfordern. Die von Sohn-Rethel (1972) und Bravermann (1977) ganz auf
+der Linie von Marx und Weber beschriebene langfristige Tendenz einer
+fortschreitenden Einschrnkung bzw. Eliminierung der
+Dispositionsspielrume wie auch der kognitiven Kompetenz der
+Arbeitskrfte htte von hier aus gesehen mit Gegentendenzen zu
+rechnen, die anstelle der reinen Subsumtionslogik strker auf
+indirekte, 'systemische' Kontrollen setzen (Baethge/Oberbeck 1986, 22;
+Manske 1987, 175) und dabei die eindimensionalen, auf
+'Fremdbeobachtung' und punktueller Disziplinierung beruhenden
+tayloristischen Mechanismen durch neue, die 'Selbstbeobachtung' und
+aktive Beteiligung des Personals akzentuierenden Strategien
+substituierten (Malsch 1987). Ob sich damit, wie etwa Malsch glaubt,
+die Chance einer kommunikativen Rationalisierung erffnet, mag
+dahingestellt bleiben. Fest steht jedoch, da das Kontroll-Paradigma
+diesen Entwicklungen nur unzureichend Rechnung trgt. "Subjektivitt",
+so folgert Uwe Schimank, "ist in formalen Organisationen nicht nur
+eine mglichst weitgehend sozialem und technischem Reglement zu
+unterwerfende, weil fr die organisatorische Ordnung gefhrliche
+Strgre; sondern Subjektivitt ist eine wesentliche
+Konstitutionsbedingung organisatorischer Ordnung gerade auch in
+hochtechnisierten Produktionsorganisationen" (1986, 86).
+
+
+Abschnitt skizzierten Argumentation erforderlich, stellen sie jedoch
+nicht grundstzlich in Frage. Auch wenn die Bedienung der zunehmend
+komplexer und stranflliger werdenden Produktionsanlagen heute eine
+flexiblere Funktionsvermischung und eine erhhte technisch-
+wissenschaftliche Kompetenz des Personals verlangt (Wuntsch 1988, 28,
+201); auch wenn die Belegschaften ein ganz neuartiges "Drohpotential
+der Datenmanipulation und der Wissenszurckhaltung" erwerben (Malsch
+1987, 79), folgt daraus doch nicht, da die systemische Integration an
+ihre Grenze stt und eine neue Perspektive erffnet, die es
+ermglicht, die organisierten Sozialsysteme "als fragile Gebilde zu
+durchschauen, die in ihrer Existenz vom moralischen Konsens aller
+Beteiligten abhngig bleiben" (Honneth 1985, 334). Bei der
+Subjektivitt, die in organisierten und technisierten Systemen
+operiert, handelt es sich zwar um selbstdeterminierte und insofern
+zweifellos auch zu moralischen Orientierungen befhigte personale
+Systeme, doch ist gerade diese Kompetenz nicht gemeint, wenn von einem
+Beitrag zu den Konstitutionsbedingungen die Rede ist. Gefragt sind
+nicht die moralischen und expressiven, sondern die kognitiven und
+technischen Kompetenzen, mithin jene Fhigkeiten zu formaler
+Rationalitt, diskursiver Symbolisierung und streng linearer
+Wahrnehmung, wie sie nur das im kantischen Sinne disziplinierte und
+kultivierte Individuum besitzt. Gewi geht das Individuum darin nicht
+auf. Es verfgt, auch und gerade im Rahmen informatisierter
+Produktionstechnologien, ber die Fhigkeit, die durch die jeweilige
+ Technik gesetzten Grenzen sinnhaften Operierens zu berschreiten, es
+akkumuliert ein Erfahrungswissen, das durch formalisiertes und
+standardisiertes Planungswissen nie vollstndig ersetzt werden kann.
+Dennoch handelt es sich um eine Erfahrung hchst spezifischer Art:
+nicht die spontane, 'naturwchsige' Erfahrung der konkreten Arbeit,
+die eine Wechselbeziehung zwischen dem Arbeitenden, dem Werkzeug und
+dem je besonderen Material unterstellt, sondern die domestizierte,
+disziplinierte Erfahrung innerhalb eines vorstrukturierten technischen
+'Ereignishorizonts', in dem sich die Aktivitt des Subjekts weitgehend
+auf die Selektion und Deutung der Zeichen beschrnkt, die von den
+Informationssystemen in berflle geboten werden (Hartmann 1990, 42).
+Erfahrung in diesem Kontext ist immer wissenschaftliche Erfahrung,
+Produktion immer: Objektivation von Wissenschaft. Die Vernderung
+besteht allenfalls darin, da sich nunmehr nicht blo die
+Wissenschaftler und Ingenieure, sondern Teile der Arbeiterschaft
+selbst in wissenschaftlicher Weise auf die Erfahrung bzw. die
+Produktion beziehen und damit gleichsam von der passiven auf die
+aktive Seite des Abstraktifizierungsprozesses rcken.
+
+
+Unzulnglichkeiten seiner Machttheorie, auch nicht sehen knnen. Er
+hat aber immerhin etwas davon geahnt, wenn er von der "Ersetzung eines
+juridischen und negativen Rasters durch ein technisches und
+strategisches" spricht (1978, 105), wenn er auf neue Machtmechanismen
+verweist, die nicht mehr mit dem Recht, sondern mit der Technik
+arbeiten, wenn er betont, da die Macht nicht mehr nur 'von oben',
+sondern auch 'von unten', d.h. von den Subjekten selbst kommt (1977,
+110, 115). Wenn die direkte Kontrolle la Taylor berflssig wird, so
+nicht, weil das System durch zunehmend autonomere, ihre Qualifikation
+und ihre Intelligenz wiedergewinnende Subjekte in die Defensive
+gedrngt wrde. Sondern genau umgekehrt: weil es, flexibler und
+gleichsam dialektischer geworden, mit den Beitrgen der Subjekte
+selbst rechnen kann, die, vom wissenschaftlichen Code geprgt, die
+permanente Optimierung des Systems zu ihre eigenen Sache gemacht
+haben30.
+
+
+Entwicklung sein, die Foucault unbeachtet gelassen hat, auf die ich
+jedoch zum Schlu wenigstens hinweisen mchte, weil eine Theorie der
+Disziplinargesellschaft sie nicht ignorieren kann: die partielle
+Entdisziplinierung, von der die fortgeschrittenen
+Industriegesellschaften seit einiger Zeit heimgesucht werden. Die
+allgemeine Erhhung des Qualifikationsniveaus im Gefolge der
+'Bildungsrevolution' (Parsons) hat zu einer Entwertung der unteren
+Bildungsabschlsse gefhrt, die die Haupt- und Sonderschulabsolventen
+in eine hnliche Lage geraten lt wie Analphabeten. Die Hauptschule,
+so hat Ulrich Beck es formuliert (1986, 246), verwandelt sich mehr und
+mehr in einen 'Aufbewahrungsort fr arbeitslose Jugendliche', dessen
+Funktionsbestimmung sich in Richtung Beschftigungstherapie
+verschiebt. Die Folge ist nicht nur eine anomische Reaktion der
+betroffenen Jugendlichen, die sich etwa am Phnomen des ansteigenden
+Vandalismus ablesen lt, sondern eine tiefgreifende Entwertung der
+Autoritt der Schule und eine Erosion der von ihr vermittelten
+Disziplin - vor allem in Grostdten mit anhaltend hoher
+Jugendarbeitslosigkeit und hohem Anteil von Angehrigen
+diskriminierter Minderheiten. Whrend sich die Pdagogik an Gymnasien
+eher mit Problemen wie Ehrgeiz, Schulangst, bertriebene Anpassung und
+Kontaktschwierigkeiten konfrontiert sieht, werden an Hauptschulen in
+ zunehmendem Mae Verhaltensaufflligkeiten wie Unkonzentriertheit,
+Ungenauigkeit, Interessenmangel, verbale Aggression und Ungehorsam
+gegen den Lehrer registriert (Bach 1987, 58 f.). Auch an den
+Grundschulen mehren sich inzwischen die Unterrichtsstrungen in Form
+von bermotorik, diffuser Aggression, ungerichtetem Agieren und
+didaktisch-methodischer Unansprechbarkeit, so da das Bildungsangebot
+bei einem wachsenden Teil der Schler ins Leere stt (Ziehe 1983;
+Cloer 1982; ders. 1987; Winkel 1988). Wenn die Zeichen nicht trgen,
+so scheint es sowohl der sekundren als offenbar bereits der primren
+Sozialisation in Teilen der Gesellschaft zusehends weniger zu
+gelingen, jene innere Disziplin zu vermitteln, die nicht blo fr das
+Fortkommen, sondern schon fr das pure berleben in einer
+Disziplinargesellschaft unerllich ist. Welches immer die Ursachen
+sein mgen - Wohnverhltnisse, Arbeitslosigkeit, damit
+zusammenhngende defizitre familiale Kommunikation, nicht zuletzt
+auch eine durch Fernsehkonsum vernderte Organisationsform der Sinne -
+fest steht, da man heute nicht mehr schlichtweg von einer
+Verallgemeinerung der Disziplin, sondern allenfalls von einer
+partiellen Erweiterung sprechen kann, bei der ganze Sektoren der
+Gesellschaft als disziplinre Brachen ausgespart bleiben. Je weiter
+aber sich diese Brachen ausdehnen, desto dringlicher wird die Frage,
+ob die von Foucault beschriebene Modernisierung und Humanisierung der
+Disziplin, ihre Abkehr von einer bloen 'Gewaltrationalitt' (Dauk
+1989, 131), nicht der Anfang eines Prozesses sein knnte, in dessen
+Verlauf die Disziplinargesellschaft ihre eigenen Voraussetzungen
+zerstrt. Allein mit den von Foucault bereitgestellten Kategorien wird
+diese Frage nicht zu beantworten sein.
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+
+der Auseinandersetzung mit Elias und Foucault deutlich, erfassen
+wichtige Aspekte der modernen Gesellschaft. Fr eine Gesamtdiagnose
+indes ist ihr Instrumentarium zu grob, ihr begrifflicher Zuschnitt zu
+eng. Es ist deshalb an der Zeit, den Fokus zu erweitern und jene
+beiden Theorien in den Blick zu nehmen, von denen wir uns in der
+Kritik an Elias und Foucault vielfach leiten lieen: die Kritische
+Theorie und die Systemtheorie.
+
+
+geschrieben worden: ber die unterschiedliche Auffassung von Handeln
+und Kommunikation, von Wahrheit und Rationalitt. Nur selten aber, und
+dann gewhnlich am Rande, hat die Debatte das eigentliche Thema
+probandum berhrt, das zwischen beiden Theorien zur Verhandlung steht:
+die moderne Gesellschaft und ihre Entwicklungstendenzen. Dabei ist
+kein Feld von so zentraler Bedeutung wie dieses - stimmen doch beide
+Theorien darin berein, da die Zukunft der Soziologie wesentlich
+davon abhngt, ob es ihr gelingt, einen Begriff ihres Gegenstandes -
+der Gesellschaft - zu entwickeln.
+
+
+Berhrungsangst zu sprechen. Vordringlicher ist es, sie zu
+durchbrechen, indem man den Gegenstand selbst in den Mittelpunkt der
+Errterungen rckt. Dies soll im folgenden in drei Schritten
+geschehen. Im ersten Abschnitt werde ich die Aussagen beider Theorien
+ber den Aufbau der modernen Gesellschaft vergleichen, die sich im
+einen Fall um den Begriff der Totalitt, im anderen Fall um den des
+Systems zentrieren. Im zweiten Abschnitt sollen die wichtigsten Thesen
+ber die Entwicklungstendenzen der modernen Gesellschaft
+herausgestellt werden, wobei ich mich vorrangig auf die Frage
+Differenzierung oder Entdifferenzierung konzentrieren werde. Der
+letzte Abschnitt behandelt die Mglichkeit wechselseitiger
+Lernprozesse beider Theorien im Horizont einer sich anbahnenden
+Konvergenz von Kritik und Affirmation. Der Vergleich wird sich auf
+Adorno und Luhmann als die beiden Autoren beschrnken, bei denen die
+Kritische Theorie und die Systemtheorie in ihrer 'Vollstufe'
+entwickelt sind.
+
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+
+
+
+
+
+AAF 1. Jeder Anfang ist eine Vorentscheidung. Nach der Systemtheorie
+ist mit Differenz zu beginnen, nach dialektischer Auffassung mit
+Einheit. Folgte man der ersten Position, so wre man in diesem Fall
+ schnell fertig. Man wrde zeigen, da fr Luhmann Gesellschaft
+Kommunikation ist und in dieser Eigenschaft sowohl das Ganze
+verkrpert als auch das Wahre einschliet: die Gesamtheit der
+Kommunikationen als Selektion aus der Gesamtheit aller anschlufhigen
+- in Luhmanns Terminologie: 'wahren' - Kommunikationen (1990, 533,
+618f., 175)31. Auf der anderen Seite tauchte dann sogleich die Formel
+vom Ganzen als dem Unwahren sowie Adornos 'Generalverdacht gegen
+Kommunikation' auf (Mrchen 1981, 231). "Alles, was heutzutage
+Kommunikation heit, ausnahmslos, ist nur der Lrm, der die Stummheit
+der Gebannten bertnt" (GS 6, 341). Der Dialog wre zuende, ehe er
+berhaupt eingesetzt htte.
+
+ Wir mssen also nach Art der Dialektik beginnen, mit Einheit statt
+mit Differenz. Das ist weniger gewaltsam, als es nach dem ersten
+Vorgeplnkel den Anschein haben knnte, bestimmen doch Adorno wie
+Luhmann die moderne Gesellschaft ganz konventionell, unter Rckgriff
+auf den von Herbert Spencer in die Soziologie eingefhrten Begriff der
+funktionalen Differenzierung. Die moderne Gesellschaft ist nach
+Luhmann kein Organismus und kein Subjekt, sondern "dasjenige
+Sozialsystem, das die letzterreichbare Form funktionaler
+Differenzierung institutionalisiert" (1971, 15). "Modern society,
+then, has to be described as a functionally differentiated system.
+This is its main characteristic, the principle which generates its
+structures" (1984, 64).
+
+ Nicht anders sieht es Adorno. Gesellschaft, so verkndet er, sei
+"ein Funktions- und kein Substanzbegriff" (GS 8, 349), Soziologie die
+"Wissenschaft von den gesellschaftlichen Funktionen" (Adorno 1956,
+23). Whrend sich archaische Gesellschaften nicht zuletzt durch ihre
+nur geringe Arbeitsteilung auszeichneten, habe sich die moderne
+Gesellschaft zu einem gigantischen Interdependenzzusammenhang
+entfaltet.
+
+ "Mit Gesellschaft im prgnanten Sinn meint man eine Art Gefge zwischen Menschen, in dem alles und alle von allen
+abhngen; in dem das Ganze sich erhlt nur durch die Einheit der von smtlichen Mitgliedern erfllten Funktionen, und in dem
+jedem Einzelnen grundstzlich eine solche Funktion zufllt, whrend zugleich jeder Einzelne durch seine Zugehrigkeit zu dem
+totalen Gefge in weitem Mae bestimmt wird" (ebd. 22; vgl. GS 8,10).
+AAF
+ Fr Adorno ist mit dieser Bestimmung allerdings nur erst ein
+Aspekt der modernen Gesellschaft getroffen. Der zweite fr ihn
+wichtige Aspekt ist, da Gesellschaft ebensosehr eine Relations-, ja
+eine 'Vermittlungskategorie' sei (Adorno 1973, 36, 39). Was damit
+gemeint ist, lt sich durch eine Kontrastierung mit der
+funktionalistischen Theorie der Systemdifferenzierung verdeutlichen.
+Diese Theorie, die im brigen, wie das Beispiel Althusser zeigt, auch
+in den Marxismus Eingang gefunden hat, geht davon aus, da die moderne
+Gesellschaft durch die Ausdifferenzierung relativ autonomer
+Subsysteme, Ebenen oder Instanzen gekennzeichnet ist, welche innerhalb
+des Gesamtsystems nebeneinander existieren. Parsons unterscheidet
+dabei bekanntlich das politische, konomische, sozialkulturelle und
+gemeinschaftliche System; Luhmann Teilsysteme fr Politik, Wirtschaft,
+Recht, Erziehung, Religion und Wissenschaft; Althusser die politische,
+konomische und ideologische Ebene. Diese Differenzierung schliet
+nicht aus, da zwischen den Subsystemen Beziehungen bestehen: bei
+Parsons und Luhmann gibt es das Konzept der Interpenetration, bei
+Althusser sogar das Prinzip der Determinierung in letzter Instanz
+durch die konomie. Typisch aber ist, da in all diesen Konzeptionen
+(von deren Unterschieden hier abgesehen werden kann) die Beziehung
+ uerlicher Natur ist, eine bloe Wechselwirkung zwischen ansonsten
+getrennten und nach eigengesetzlichen Regeln prozessierenden Sphren.
+
+ Adorno bestreitet keineswegs die Existenz solcher autonomer
+Sphren. Die bliche Formel, mit der er Bereiche wie Kunst oder
+Wissenschaft charakterisiert, lautet, sie seien autonom und fait
+social zugleich (GS 7, 16; GS 8, 283). Damit ist jedoch auch gesagt,
+da die Theorie es bei der bloen Feststellung der Autonomie nicht
+belassen kann. Gerade als autonome sind die Teilsysteme vermittelt
+durch die konstitutive Struktur der Gesellschaft, ihre objektive
+'Wesensgleichheit' (Adorno 1973, 25), die in den Teilsystemen
+erscheint und sie ipso facto als Schein, als Reflexionsbestimmung
+durchschaubar macht. Was Adorno fr die Kunst notiert, gilt mutatis
+mutandis auch fr die brigen Bereiche des gesellschaftlichen Ganzen:
+
+ "Die Frage nach der Vermittlung von Geist und Gesellschaft reicht weit ber die Musik hinaus, wo man sie allzu leicht auf die
+nach dem Verhltnis von Produktion und Rezeption einengt. Gelten drfte, da jene Vermittlung nicht uerlich, in einem dritten
+Medium zwischen Sache und Gesellschaft stattfinde, sondern innerhalb der Sache. Und zwar nach ihrer objektiven und subjektiven
+Seite. Die gesellschaftliche Totalitt hat in der Gestalt des Problems und der Einheit der knstlerischen Lsungen sich sedimentiert, ist
+darin verschwunden. Weil in ihr Gesellschaft sich verkapselt hat, folgt sie, indem sie autonom sich entfaltet, auch der
+gesellschaftlichen Dynamik, ohne auf sie hinzublicken, ohne direkt mit ihr zu kommunizieren" (GS 14, 409).
+AAF
+ In der Bestimmung dieser Wesensgesetzlichkeit, die in den
+Teilsystemen erscheint und diese dadurch als vermittelte konstituiert,
+knpft Adorno an die klassische dialektische Theorie an, die die
+moderne Gesellschaft als brgerliche verstand. Wie Marx, der den
+Schlssel zu diesem System in der politischen konomie suchte, geht
+auch Adorno vom "Primat der konomie" aus (GS 4, 125) und lokalisiert
+hier den tragenden Lebensproze der Gesellschaft. Damit ist vor allem
+die grundlegende Rolle angesprochen, die der gesellschaftlichen Arbeit
+in der Moderne zukommt. Die sozialen Prozesse und Institutionen
+existieren nicht aus eigener Kraft, sie sind "wesentlich
+vergegenstndlichte Arbeit lebendiger Menschen"; selbst so subtile
+Erscheinungen wie Kunst, Philosophie oder Kulturkritik sind vom
+Arbeitsproze abhngig, "in dessen Schicksal verflochten" (GS 8, 17;
+GS 10.1, 18). Ein berhistorisches Gesetz, wie es etwa Engels' Prinzip
+der Determinierung in letzter Instanz aufstellt, ist damit nicht
+behauptet, denn eine 'szientifische Invariantenlehre' lehnt Adorno ab.
+Fr die moderne Gesellschaft allerdings gilt, da sie die "Einheit der
+durch ihre Arbeit das Leben der Gattung reproduzierenden Subjekte" ist
+und daher primr als "Totalitt der Arbeit" konzipiert werden mu (GS
+5, 267, 269). "Soweit die Welt ein System bildet, wird sie dazu eben
+durch die geschlossene Universalitt von gesellschaftlicher Arbeit"
+(ebd. 272).
+
+ Von entscheidender Bedeutung ist nun allerdings, da sich dieser
+Primat der Produktion unter brgerlichen Produktionsbedingungen auf
+eine hchst paradoxe Weise uert: als Abstraktion der Produktion von
+sich selbst. Konstitutiv fr den gesellschaftlichen Zusammenhang ist
+nicht die lebendige Arbeit, auch nicht das konkrete Bedrfnis.
+"Grundbestand der Gesellschaft an sich", "magebende Struktur der
+Gesellschaft" (GS 8, 13; GS 10.2, 745) ist vielmehr der Tausch, in dem
+die konkreten Einzelarbeiten auf ihren gemeinsamen Nenner reduziert
+werden - abstrakte Arbeit als Substanz des Wertes. Im Tausch, schreibt
+Adorno, "nicht erst in der wissenschaftlichen Reflexion, wird objektiv
+abstrahiert; wird abgesehen von der qualitativen Beschaffenheit der
+Produzierenden und Konsumierenden, vom Modus der Produktion, sogar vom
+Bedrfnis, das der gesellschaftliche Mechanismus beiher, als
+ Sekundres befriedigt" (GS 8, 13).
+
+ 'Tausch' in diesem Sinne meint mehr als eine konomische
+Transaktion, meint mehr als den bloen Besitzwechsel konkret-
+ntzlicher Gegenstnde. Der Begriff steht fr eine Gesamtverfassung,
+in der der konkret-materielle Inhalt des gesellschaftlichen Lebens,
+der Stoffwechselproze mit der Natur, und der soziale Zusammenhang
+auseinandergetreten sind und sich zum Gegensatz verselbstndigt haben.
+Ihre Einheit gewinnt die fragmentierte und atomisierte Gesellschaft
+nur mehr auf einem Umweg, ber den Austausch; da aber nur Gleiches,
+Vergleichbares, quivalentes getauscht werden kann, wechseln in der
+Zirkulation nicht Gebrauchswerte den Besitzer, sondern Tauschwerte;
+der Markt, so hat es Alfred Sohn-Rethel formuliert, dem Adorno
+entscheidende Einsichten verdankt, ist ein "zeitlich und rtlich
+bemessenes Vakuum an menschlichem Stoffwechsel mit der Natur" (Sohn-
+Rethel 1972, 80). Das, was die Einheit herstellt, ist der Wert; der
+Wert aber ist eine reine Abstraktion, etwas, in das 'kein Atom
+Naturstoff' eingeht, eine 'blo ideelle' oder 'nur gemeinte
+Bestimmung' (MEW 23, 62; Marx 1974, 173). Brgerliche
+Vergesellschaftung heit dementsprechend abstrakte, reine
+Vergesellschaftung, Integration durch eine Sphre, die in der
+traditionellen Metaphysik als 'Schein', in der idealistischen
+Philosophie als 'Geist' bezeichnet wurde - eine Welt des Symbolischen,
+der Stellvertretung, der Substitution, die alle Erscheinungsformen des
+Sozialen, von der Zirkulation ber Recht und Staat bis zu den
+subtileren Gestalten der Kunst, der Philosophie und der Wissenschaft,
+strukturiert.
+
+ "Den Vorwurf des Idealismus", schreibt Adorno, "hat nicht ein jeder zu frchten, der Begriffliches der gesellschaftlichen
+Realitt zurechnet...Mag man, gegenber der leibhaften Realitt und allen handfesten Daten, dies begriffliche Wesen Schein
+nennen, weil es beim quivalententausch mit rechten Dingen und doch nicht mit rechten Dingen zugeht: es ist doch kein Schein,
+zu dem organisierende Wissenschaft die Realitt sublimierte, sondern dieser immanent...Der Tauschwert, gegenber dem
+Gebrauchswert ein blo Gedachtes, herrscht ber das menschliche Bedrfnis und an seiner Stelle; der Schein ber die Wirklichkeit"
+(GS 8, 209).
+AAF
+ Diese Hervorhebung des Tauschverhltnisses ist von der
+marxistischen Orthodoxie hufig als Rckfall in brgerliches Denken
+kritisiert worden, als Unfhigkeit, ber den Standpunkt der
+Zirkulation hinauszugehen. Der Vorwurf hat eine gewisse Berechtigung,
+soweit er darauf zielt, da Adorno nicht mit der gebotenen
+Grndlichkeit auf die Einzelheiten der Marxschen Wertformanalyse
+eingegangen ist und deren Begriffe oft nur metaphorisch gebraucht. In
+ihrem Kern ist die Kritik jedoch unhaltbar: einmal, weil Adorno
+keineswegs bei der Zirkulation stehenbleibt und sehr wohl auch die
+entwickelteren Formen des Wertverhltnisses bis hin zur
+Klassenstruktur im Blick hat32; zum anderen, weil sie die fundamentale
+bereinstimmung verdeckt, die hinsichtlich der strukturellen Bedeutung
+der Zirkulation zwischen der Kritischen Theorie und der Kritik der
+politischen konomie besteht. Auch im Kapital fungiert als
+begrifflicher Ausgangspunkt nicht der Arbeitsproze oder ein wie immer
+geartetes 'System der Bedrfnisse', sondern die Abstraktion von der
+Produktion und vom Bedrfnis, wie sie sich in der Zirkulation, im
+Austausch von Waren gem ihren Werten, tagtglich vollzieht; und wenn
+es ein Gliederungsprinzip gibt, einen Grundgedanken, um den sich das
+System der politischen konomie organisiert, so ist er hier, in den
+verschiedenen Metamorphosen dieser Fundamentalabstraktion zu suchen,
+die vom einfachen Tausch ber den Geld- und Kapitalbegriff bis zu den
+Oberflchenbestimmungen der 'trinitarischen Formel' reichen. Indem
+ Adorno diesen Gedanken, in wie metaphorischer Form auch immer,
+festhlt und zu der These zuspitzt, da die Produktion nur
+gegenstandskonstitutiv, nicht aber gesellschaftskonstitutiv ist, steht
+er Marx nher als alle postmarxschen Arbeitsmythologien, die die Rede
+vom Scheincharakter der Zirkulation allzu wrtlich, nmlich
+brgerlich-aufklrerisch nehmen. Die Einheit der brgerlichen
+Gesellschaft ist keine Einheit der Arbeit, sondern eine des Wertes,
+der Abstraktion von der Arbeit.
+
+ Diese Einheit aber, und damit kehren wir zum Ausgangspunkt zurck,
+existiert nicht unmittelbar, sondern nur als Proze, als "eine
+Einheit, die sich durch den Trennungs-, durch den
+Abstraktionsmechanismus hindurch berhaupt eigentlich erst vollzieht"
+(Adorno 1973, 47). Die konstitutive Struktur, der Wert, ist keine
+isolierte, unbewegliche Instanz, die auf andere Instanzen diese oder
+jene Wirkung ausbt. Sie erzeugt vielmehr unablssig neue Formen, in
+denen sie sich zugleich manifestiert und verbirgt - so wie es Hegel
+fr die Sphren des subjektiven, objektiven und absoluten Geistes
+beschrieben hat, Marx fr die verschiedenen 'Verkncherungen' des
+Mehrwerts vom Profit ber den Produktionspreis bis hin zu den
+'mystischen' Formen von Zins, Arbeitslohn und Rente. Das Wesen mu
+erscheinen; die Gesamtheit seiner Erscheinungen aber ist: das System.
+Das System ist die dialektische Ordnung der Erscheinungsformen der
+Struktur, die Struktur wiederum ist nichts anderes als das System, auf
+seinen einfachsten und abstraktesten Ausdruck gebracht. Der hier von
+Adorno anvisierte Theorietypus liee sich am angemessensten als eine
+'strukturalistische Systemtheorie' charakterisieren, die die
+Einsichten des Strukturalismus und der Systemtheorie aufnimmt, sie
+aber dialektisiert und dadurch ihre Einseitigkeiten vermeidet.
+
+ Es ist nur scheinbar ein Widerspruch hierzu, wenn Adorno an
+anderer Stelle davon spricht, da sich das dialektische Denken
+zunehmend von der Systemform entfernen msse, oder wenn er die
+negative Dialektik geradezu als 'Antisystem' definiert (GS 8, 308; GS
+20.1, 165ff; GS 6, 10). Gewi gibt es neben dem Schler Hegels und
+Marxens auch den Schler Nietzsches und Benjamins, dessen
+antisystematische Affekte sich methodisch in der Bevorzugung der
+'Mikrologie' und des Aphorismus niederschlagen und mitunter in
+emphatischen Bekenntnissen kulminieren wie demjenigen, da der
+wirklich freie Gedanke mit dem System unvereinbar sei (Adorno 1974,
+266). Es wre indes ein vlliges Miverstndnis von Adornos Position,
+wenn man darin eine Absage an das systematische Denken oder gar eine
+Leugnung des Systemcharakters der gesellschaftlichen Realitt sehen
+wollte. Da die brgerliche Gesellschaft ein System ist, eine Einheit
+also, die aus einem Punkt heraus erzeugt und nicht nur die uerliche
+Ordnung eines vorgegebenen Stoffes ist, steht fr Adorno auer Frage,
+ebenso wie die Gltigkeit der Kategorien, mit denen Hegel und vor
+allem Marx dieses System beschrieben haben. Anders wre seine im
+Positivismusstreit immer wieder geuerte Mahnung unverstndlich, da
+die Soziologie ihr Objekt verfehle, wenn sie darauf verzichte,
+"Gesellschaft als System" zu denken, wenn sie sich mit bloen
+Systematisierungen begnge, anstatt "das den Prozeduren und Daten
+wissenschaftlicher Erkenntnis vorgeordnete System der Gesellschaft" zu
+rekonstruieren (GS 8, 210, 356). Die Mikrologie setzt an jedem Punkt
+die Gltigkeit der Marxschen Strukturanalysen voraus, sie ist mglich
+nur auf dem Boden des dialektischen Begriffs, auch wenn sie darauf
+verzichtet, diesen im Einzelfall zu explizieren. Bei aller Kritik, die
+Adorno an Hegels Identifikation des Systems mit dem absoluten Subjekt
+ gebt hat, hat er doch an der Notwendigkeit und Angemessenheit des
+Systembegriffs zu keiner Zeit einen Zweifel gelassen:
+
+ "Ist jenes Subjekt-Objekt, zu dem seine (scil. Hegels) Philosophie sich entwickelt, kein System des vershnten absoluten
+Geistes, so erfhrt der Geist doch die Welt als System. Sein Name trifft den unerbittlichen Zusammenschlu aller Teilmomente und
+Teilakte der brgerlichen Gesellschaft durch das Tauschprinzip zu einem Ganzen genauer als irrationalere wie der des Lebens,
+selbst wenn dieser der Irrationalitt der Welt, ihrer Unvershntheit mit den vernnftigen Interessen einer ihrer selbst bewuten
+Menschheit, besser anstnde. Nur ist die Vernunft jenes Zusammenschlusses zur Totalitt selber die Unvernunft, die Totalitt des
+Negativen" (GS 5, 324): eben die des Tauschs, der die Einzelnen einem ihnen fremden Gesetz unterwirft.
+AAF
+ Da diese Negativitt das System, das sie konstituiert, zugleich
+in den Untergang treibt, wird weiter unten darzustellen sein.
+
+
+
+ 2. Der zentrale Stellenwert, den die dialektische Theorie dem
+Systembegriff zuweist, hat ihr wenig Anerkennung bei derjenigen
+Theorie eingetragen, die sich diesen Begriff fr ihre
+Selbstbeschreibung zu eigen gemacht hat: der Systemtheorie. Vom
+"ehrwrdige(n) Konzept der brgerlichen bzw. proletarischen,
+wirtschaftlich konstituierten Gesellschaft" (1974, 217) spricht
+Luhmann im gleichen Ton wie ein Raketenkonstrukteur von den Bemhungen
+des Schneiders von Ulm; vom "negatorische(n) Apparat brgerlicher
+Gesellschaftskritik im Sinne von Rousseau, Hegel oder Marx" (1979,
+105) wie von einem berflssigen Ballast, dessen man sich tunlichst
+entledigen sollte. Zwar konzediert Luhmann diesem Theorietypus das
+"Erstgeburtsrecht als reflexive Theorie", doch bemngelt er
+gleichzeitig "die eigentmliche Schmalspurigkeit, die zu geringe und
+zu unbestimmte Komplexitt, die Fixierung auf wenige Gesichtspunkte,
+an die man mit vermeintlich eindeutigen Effekten Negationen anknpfen
+kann" (1982, 193).
+
+ Die Grnde fr diese abschtzig-distanzierende Haltung sind rasch
+benannt. Die Theorie der brgerlichen Gesellschaft, sowohl in ihrer
+affirmativen als auch in ihrer kritischen Gestalt, ist nach Luhmann
+die letzte in einer Serie von Selbstthematisierungen des
+Gesellschaftssystems, die die Gesellschaft unzureichend, nmlich auf
+der Basis ontologischer und anthropologischer Prmissen zu begreifen
+versuchte. Im Gegensatz zu der bis auf Aristoteles zurckgehenden
+'alteuropischen' Lehre, welche die Gesellschaft als societas civilis,
+d.h. als primr politisch konstituierte Ordnung verstand, habe die
+Theorie der brgerlichen Gesellschaft zwar neues Terrain betreten,
+indem sie den Akzent auf das Wirtschaftssystem verlagert habe; doch
+seien die anthropologisch-ontologischen Begrndungsmuster im Prinzip
+beibehalten worden. Wie die Aristoteliker den Primat der Politik,
+htten auch die brgerlichen Theoretiker den Primat der konomie mit
+Naturbegriffen begrndet und ihre Gesellschaftskonzeption darauf
+aufgebaut - wobei es nach Luhmann eine zweitrangige Frage ist, ob
+diese Naturbegriffe naturrechtlicher oder materialistischer Provenienz
+waren: beide Anstze htten die Gesellschaft als Aggregat von
+natrlichen Bedrfnissen und Befriedigungsmglichkeiten konzipiert und
+die Teilsysteme auf dieses Kernsystem bezogen (1974, 142, 206). Marx
+erscheint aus dieser Sicht gleichsam nur als Schlupunkt in der
+Selbstthematisierung der brgerlichen Gesellschaft, sein Materialismus
+nicht als Durchbruch zu einer neuen, die brgerliche Welt
+transzendierenden Auffassung, sondern als brgerliche Philosophie par
+excellence (1981, 235). Obwohl Luhmann nicht ausschliet, da von der
+marxistisch-sozialistischen Selbstkritik der brgerlichen Gesellschaft
+ bestimmte politische Effekte ausgehen knnten, hlt er deren Potential
+doch fr erschpft. Ein wirkliches Verstndnis, das sich auf der Hhe
+der Zeit befindet, ist nach seiner berzeugung weder von den
+Apologeten der brgerlichen Gesellschaft zu erwarten noch von deren
+Kritikern. Gefordert ist vielmehr eine grundlegende Neuorientierung,
+die die Gesellschaftstheorie von anthropologischen und humanistischen
+Prmissen abkoppelt und auf ein anderes, die Eigenstndigkeit und
+Eigenlogik des Sozialen bercksichtigendes Fundament stellt.
+
+ Nun ist sicher nicht zu bestreiten, da ontologische Motive in dem
+von Luhmann inkriminierten Sinne eine wichtige Rolle in der
+materialistischen Dialektik spielen: nicht blo in den kruden
+Varianten, die man in den Lehrbchern des real kaum noch existierenden
+Sozialismus findet, sondern schon bei Marx, der seine
+Revolutionstheorie vollstndig auf eine Ontologie der Arbeit grndet,
+und auch bei Adorno, der im Gebrauchswert das "Ineffabile der Utopie"
+sieht und seine Kritik am brgerlichen System auf die Idee eines
+"Vorrangs des Objekts" sttzt (vgl. GS 6, 22, 184ff.). Was indes die
+Darstellung dieses System betrifft, die Untersuchung seines inneren
+Baus, so greift Luhmanns Kritik zu kurz. Weder Marx noch Adorno
+benutzen Naturbegriffe oder ontologische Argumente. Vielmehr zeigen
+sie przise, da die brgerliche Gesellschaft anstatt auf der
+konkreten Arbeit oder dem Bedrfnis auf der Abstraktion von der Arbeit
+und vom Bedrfnis beruht, auf Verhltnissen, die sich hinter dem
+Rcken der handelnden Personen herausbilden und sich zu einem
+hochkomplexen Gefge verdinglichter und subjektivierter Bestimmungen
+entfalten. Da Luhmann dies im brigen nicht ganz fremd ist, zeigt
+sich an solchen Stellen, an denen er auf Marxsche Analysen (wie etwa
+die des Geldes) rekurriert und ihnen "ihr volles Recht" bescheinigt
+(1980, 253f.).
+
+ Luhmanns Vorschlag, die Gesellschaft unter Absehung von allen
+empirisch-materiellen Elementen zu definieren, kann man unter diesen
+Umstnden wohl kaum als die kopernikanische Revolution begreifen, als
+die er ihn prsentiert. Weit davon entfernt, die dialektische Theorie
+durch einen radikalen Paradigmenwechsel zu berholen, wiederholt er
+lediglich (ohne allerdings die Begrndung mitzuvollziehen) deren
+Einsicht, da der gesellschaftliche Lebensproze unter brgerlichen
+Produktionsbedingungen in doppelter Gestalt erscheint: als
+gegenstndlich-materielle, aber private Produktion einerseits, als
+gesellschaftlicher, aber immaterieller Zusammenhang andererseits.
+Konkret und privat im Sinne von ungesellschaftlich, das sind nach
+Luhmann die Individuen, die als autonome, 'autopoietische' Systeme
+"auerhalb aller sozialen Systeme" operieren und dabei, obwohl
+wesentlich Bewutsein, doch einen engen Bezug zum organisch-
+materiellen Leben haben (1985, 359, 296f.). Die Gesellschaft hingegen
+ist Kommunikation und nichts als Kommunikation. Sie konstituiert sich
+zwar aus den Erwartungen und Kommunikationen psychischer Systeme, geht
+aber in dieser ihrer Genesis nicht auf, bildet "eine freischwebend
+konsolidierte Realitt, ein sich selbst grndendes Unternehmen" (ebd.
+173), eben 'reine' Kommunikation.
+
+ "Ganz grob kann man das System der Gesellschaft charakterisieren als Gesamtheit der freinander zugnglichen,
+kommunikativ erreichbaren Erlebnisse und Handlungen. Kommunikation verwebt die Gesellschaft zur Einheit" (1981, 309).
+AAF
+ Ersetzt man Kommunikation durch Zirkulation, so hat man exakt die
+Marxsche These, nach der die brgerliche Gesellschaft ihre Einheit und
+ihren Selbstbezug allein vermge der Ausdifferenzierung einer
+ eigenstndigen Sphre der abstrakten Allgemeinheit neben und auer der
+empirisch-materiellen Dimension der Produktion und des Konsums
+herzustellen vermag.
+
+ Die eigentliche Differenz zwischen Systemtheorie und Dialektik
+liegt deshalb nicht darin, da die erstere Gesellschaft auf
+Kommunikation reduziert und alle nichtkommunikativen Elemente, die mit
+der Aneignung der Natur zusammenhngen, eskamotiert (so Ganmann
+1986a, 148ff.). Da in der brgerlichen Gesellschaft die in der
+Produktion erfolgende Naturaneignung nicht unmittelbar
+gesellschaftlich ist, es vielmehr erst durch die Vermittlung der
+Zirkulation wird, ist schlielich der Kardinaleinwand der Marxschen
+Theorie gegen die Warenproduktion. Die Differenz liegt auf der
+methodischen Ebene, in der Art und Anordnung der Kategorien, aus denen
+das brgerliche System besteht. Whrend fr die Kritische Theorie
+Gesellschaft eine Vermittlungskategorie ist, die zwar nicht im
+identischen Subjekt-Objekt, wohl aber in einer konstitutiven Struktur
+(dem 'Wesensgesetz') grndet und von diesem 'inneren Kern' her
+rekonstruiert werden mu, lehnt Luhmann einen solchen Ansatz ab. Da er
+den Strukturbegriff nur in der Fassung kennt, wie er innerhalb der
+funktionalistischen Tradition durch Parsons und Merton berliefert ist
+- als Manifestation invarianter, nichtkontingenter Beziehungen
+zwischen Elementen (1985, 377ff.) -, kann er der Struktur allenfalls
+im Hinblick auf vormoderne Gesellschaften einen privilegierten Rang
+zugestehen; fr die moderne Gesellschaft dagegen erscheint ihm die
+Struktur, von dieser Prmisse her durchaus konsequent, als gegenber
+der Funktion von zweitrangiger Bedeutung. Die Einheit der modernen
+Gesellschaft, so konstatiert er, existiere nur in der Differenz der
+Funktionssysteme:
+
+ "sie ist nichts anderes als deren wechselseitige Autonomie und Unsubstituierbarkeit. Sie ist nichts anderes als die Umsetzung
+dieser Struktur in ein Miteinander von hochgetriebener Unabhngigkeit und Abhngigkeit. Sie ist, mit anderen Worten, die dadurch
+entstandene, evolutionr hchst unwahrscheinliche Komplexitt" (1986, 216f.).
+AAF
+ Diese Auffassung darf nun nicht so verstanden werden, als gebe es
+nach Luhmann kein Gesamtsystem, als sei die Gesellschaft nichts weiter
+als die Summe der von den Teilsystemen erfllten Funktionen. Auch
+Luhmanns Entwurf bleibt insofern der Tradition
+gesamtgesellschaftlicher Theorie verpflichtet, als in ihm der
+Gesellschaftsbegriff Begrndungsfunktionen erfllt, "das heit den
+Horizont des Mglichen und Erwartbaren definiert und letzte
+grundlegende Reduktionen einrichtet" (1974, 145). Diese
+Begrndungsfunktion manifestiert sich erstens nach auen, in der
+Abgrenzung des Sozialen vom Nichtsozialen, die durch die
+Unterscheidung von Kommunikation und Nichtkommunikation erreicht wird.
+"Gesellschaft betreibt Kommunikation, und was immer Kommunikation
+betreibt, ist Gesellschaft" (1985, 555). Sie manifestiert sich
+zweitens in der internen Strukturierung, im Aufbau von Teilsystemen,
+die auf bestimmte, nur ihnen zurechenbare Funktionen spezialisiert
+sind. Und sie manifestiert sich drittens auch in einem Zugriff auf
+diese Teilsysteme, der dafr sorgt, da sich keines derselben auf
+Kosten anderer Teilsysteme totalisiert: z.B. durch Einbau von
+Beschrnkungen in die Reflexionsstruktur der Teilsysteme (1977, 245).
+Insofern kann auch Luhmann von der "Einheit der Gesellschaft" sprechen
+und Dimensionen angeben, in denen diese Einheit sich zeigt (vgl. 1974,
+147, 149; 1985, 37f.; 1986, 202, 205).
+
+ Der Unterschied zur dialektischen Theorie liegt darin, da diese
+ Einheit den Phnomenen uerlich bleibt, mit ihnen nicht vermittelt
+ist. Gelangt fr Adorno die gesellschaftliche Determinierung in den
+Phnomenen selbst zum Ausdruck, so da die deutende Analyse das
+Einzelne auf sein Allgemeines hin durchsichtig zu machen vermag, so
+rutscht sie bei Luhmann gleichsam zwischen die Phnomene, in die
+"Interdependenz und (den) Abstimmungszwang unter den Folgeproblemen
+strkerer Differenzierung" (1974, 147). Die Teilsysteme sind in der
+modernen Gesellschaft per definitionem nicht Manifestationen der
+Gesamtgesellschaft bzw. der konstitutiven Struktur, sie sind
+Manifestationen einer Funktion und damit gerade nicht des Ganzen; da
+sie gleichwohl einem bergeordneten Zusammenhang angehren, zeigt sich
+nicht in ihnen selbst, sondern nur in ihrer Umwelt, in der
+Mannigfaltigkeit innergesellschaftlicher System-Umwelt-Differenzen.
+Von hier aus wird die eigenwillige, der Auffassung Adornos kontrr
+entgegengesetzte Deutung verstndlich, die Luhmann dem
+traditionsreichen Begriff der Integration verleiht:
+
+ "Mit dem bergang von segmentrer zu schichtenmiger und von schichtenmiger zu funktionaler Primrdifferenzierung
+des Gesellschaftssystems ndert sich die Zugriffsform des gesamtgesellschaftlichen Systems auf die Teilsysteme; sie verlagert sich
+von den Strukturen der Teilsysteme auf ihre innergesellschaftliche Umwelt. Die Gesellschaft kann bei zunehmender Komplexitt
+immer weniger garantieren, da alle Teilsysteme unter gleichen Strukturen gleichfrmig operieren und sich aus diesem Grunde
+nicht bermig belasten. Integration mu vielmehr dadurch vermittelt werden, da alle Teilsysteme freinander
+innergesellschaftliche Umwelt sind. Ein Teilsystem gehrt dann weniger dadurch der Gesellschaft an, da es in seiner Strukturwahl
+sich nach den Erfordernissen, Werten oder gar Normen richtet, die fr alle Systeme gelten, sondern dadurch, da es sich an einer
+nichtbeliebig geordneten, als Gesellschaft garantierten und vorstrukturierten Umwelt auszurichten hat" (1977, 243f.).
+AAF
+ Gegenber diesem Ansatz sind unterschiedliche Reaktionsformen
+mglich. Man kann ihn in toto zurckweisen und von auen her, etwa vom
+Standpunkt einer dialektisch-materialistischen Konzeption, monieren,
+da Luhmann der Oberflche der brgerlichen Gesellschaft verhaftet
+bleibt und beispielsweise auerstande ist, den Geldfetisch zu
+durchschauen (Blanke/Jrgens/Kastendiek 1975, 381ff.; Giegel 1975,
+96ff.; Ganmann 1986). Das mag zutreffen, endet aber in den meisten
+Fllen mit einer Rehabilitation eben jener Philosophie der Arbeit,
+deren mangelnde Tragfhigkeit Luhmann wohl zu Recht herausstellt. Man
+kann ferner immanent-kritisch fragen, ob Luhmann sein eigenes
+"postdialektisches Forschungsprogramm" realisiert und Analysen
+entwickelt, aus denen hervorgeht, wie die Gesellschaft die ihr
+zugewiesene Aufgabe der Einregulierung der innergesellschaftlichen
+Umwelt erfllt; wobei man dann feststellen wird, da sich der sonst so
+beredte Autor an dieser 'theoriebautechnisch' so wichtigen
+Scharnierstelle in Schweigen hllt. Jedenfalls hat Luhmann
+bemerkenswert wenig Energie daran gesetzt, den "Leerplatz" zu fllen,
+den er schon 1970 an der Stelle einer den heutigen Verhltnissen
+angemessenen Theorie des Gesellschaftssystems entdeckte (1974, 152).
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